Neuronale Stammzellen zerstören Hirntumore

24.07.2012 - Deutschland

Stammzellen des Gehirns bekämpfen in jungen Jahren Hirntumore wie zum Beispiel Glioblastome, die zu den häufigsten und bösartigsten Tumoren gehören. Jetzt haben Forscher vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin und der Charité - Universitätsmedizin Berlin einen neuen Mechanismus entschlüsselt, mit dem Stammzellen das junge Gehirn vor diesen Tumoren schützen. Danach setzen die Stammzellen Substanzen frei, die bei den Tumorzellen einen Ionenkanal aktivieren, der eigentlich als Geschmacksrezeptor für Chilipfeffer bekannt ist. Diese Aktivierung löst bei der Tumorzelle Stress und damit ihren Zelltod aus.

Glioblastome können trotz Operation, Strahlen- oder Chemotherapie oder einer Kombination dieser drei Behandlungsmaßnahmen, nicht geheilt werden. Vor einigen Jahren hatte die Forschergruppe von Prof. Helmut Kettenmann vom MDC gezeigt, dass neuronale Stammzellen zu Glioblastomen wandern und sie angreifen. Die neuronalen Stammzellen schütten ein Protein aus (BMP-Protein - bone morphogenetic protein), das direkt die Tumorstammzellen angreift. Tumorstammzellen sind nach heutigen Erkenntnissen der Forschung die eigentliche Ursache dafür, dass ein Tumor immer wieder ausbricht.

Jetzt haben Kristin Stock, Jitender Kumar, Prof. Kettenmann (alle MDC), Dr. Michael Synowitz (MDC und Charité), Prof. Rainer Glaß (bisher MDC, jetzt Universität München) sowie Prof. Vincenzo Di Marzo (Istituto di Chimica Biomolecolare Pozzuoli, Neapel, Italien), einen neuen Wirkmechanismus der neuronalen Stammzellen bei Astrozytomen entdeckt. Astrozytome sind ebenfalls Hirntumore, die wie die Glioblastome zu den Gliomen zählen. Gliome treten überwiegend in höheren Alter auf und sind meist tödlich.

Wie die MDC-Forscher zeigen konnten, wandern die neuronalen Stammzellen auch zu den Astrozytomen. Dort schütten sie aber keine Proteine, sondern Fettsäuresubstanzen (Fettsäure-Ethanolamide) aus, die für die Krebszellen schädlich sind. Allerdings benötigen die Fettsäuresubstanzen, um ihre tödliche Wirkung entfalten zu können, die Hilfe eines Ionenkanals. Er wird in der Fachsprache als TRPV1-Kanal (engl. Abkürzung für: transient receptor potential vanilloid Type 1), oder auch Vanilloid-Rezeptor 1 bezeichnet. Er ist in der Forschung kein Unbekannter. Er ist beteiligt an der Weiterleitung von Schmerzreizen und besitzt unter anderem eine Bindestelle für Capsaicin, dem scharfen Reizstoff von Chilischoten. Es gibt bereits klinische Studien, in denen dieser Ionenkanal unempfindlich gemacht oder blockiert wird, um neue Schmerztherapien zu entwickeln.

MDC-Forscher beschreiben neue Rolle von Ionenkanal

Anders jedoch als bei der Schmerzbekämpfung muss dieser Ionenkanal, der auf der Oberfläche der Glioblastomzellen sitzt und dort sehr viel zahlreicher ist als auf gesunden Gliazellen, aktiviert sein, um den Zelltod von Gliomen auslösen zu können. Der aktivierte Ionenkanal löst Stress-induzierten Zelltod bei den Tumorzellen aus. Ist TRPV1 dagegen heruntergeschaltet oder blockiert, werden die Gliomzellen nicht abgetötet. Die MDC-Forscherin und die MDC-Forscher sind damit die ersten, die neuronale Stammzellen als Quelle für krebsabtötende Fettsäuren identifiziert und die Rolle des TRPV1-Ionenkanals bei der Bekämpfung von Gliomen nachgewiesen haben.

Allerdings nimmt die Aktivität der Stammzellen im Gehirn und somit der körpereigene Schutzmechanismus gegen Gliome mit zunehmendem Alter ab. Das könnte erklären, weshalb diese Tumore beim Menschen erst in höheren Lebensjahren auftreten, nicht aber bei Kindern und Jugendlichen. Wie kann der natürliche Schutz neuronaler Stammzellen auch für ältere Gehirne nutzbar gemacht werden? Die Gabe von neuronalen Stammzellen ist nach Auffassung der Forscher keine Lösung. So segensreich sie in jungen Jahren offenbar sind, so können sie im Alter gerade das Gegenteil bewirken und Hirntumore auslösen.

Eine Möglichkeit der Behandlung wäre, die TRPV1-Kanäle durch Medikamente zu aktivieren. Bei Mäusen konnte die Gruppe zeigen, dass ein synthetischer Stoff (Arvanil), der dem Capsaicin ähnelt, das Tumorwachstum reduziert. Diese Substanz ist jedoch nicht als Medikament zugelassen, da sie für den Menschen zu starke Nebenwirkungen hat. Sie wird nur in der Grundlangenforschung an Mäusen eingesetzt, die den Stoff gut vertragen. „Prinzipiell“, so die Forscher, „zeigt aber dieser Ansatz Möglichkeiten auf, neue Medikamente zu entwickeln.“

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