Therapiefortschritte durch Biopharmazeutika - warum nicht für alle?

Neue Studie der Boston Consulting Group fuer VFA Bio

02.05.2007

"Die Bedeutung von Biotech-Medikamenten in Deutschland wächst. Aber ihr Potenzial für die Patienten und die Gesellschaft insgesamt wird noch bei weitem nicht ausgeschöpft." So fasste Dr. Frank Mathias, Vorsitzender von VfA Bio und Geschäftsführer der Amgen GmbH die Ergebnisse der Studie "Wirtschaftliche Situation, Nutzen und Einsatz von Biopharmazeutika in Deutschland" zusammen. Diese Studie wurde von der Boston Consulting Group (BCG) für VFA Bio - der Interessengruppe für Biotechnologie im Verband Forschender Arzneimittelhersteller - erstellt.

Biotech-Medikamente, auch Biopharmazeutika genannt, sind aus der Behandlung chronischer und schwerer Erkrankungen wie Krebs, Multiple Sklerose, rheumatoider Arthritis oder erblichen Stoffwechselstörungen sowie aus der Prävention nicht mehr wegzudenken. Für viele Patienten sind sie Hoffnungsträger. "Neben dem Nutzen für den individuellen Patienten bieten sie aber auch einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen", sagte Dr. Frank Mathias, Vorsitzender von VFA Bio und Geschäftsführer der Amgen GmbH, München. Dazu zählen der Erhalt der Arbeitsfähigkeit und Familienfunktion der Betroffenen, ferner die Vermeidung hoher Kosten aufgrund von Behinderung, Hospitalisierung oder Pflege, aber auch die weitere Teilhabe kranker Menschen am gesellschaftlichen Leben und - bei Impfungen - die Verhütung von Epidemien. "Leider ist festzustellen, dass dieser Nutzen oft nicht ausgeschöpft wird", so Mathias.

Ein Beispiel hierfür sei die Multiple Sklerose, eine der häufigsten Ursachen für bleibende Behinderung und Erwerbsunfähigkeit bei jungen Erwachsenen. Wird bei dieser Krankheit das Behinderungsstadium 4 erreicht, muss pro Patient mit einem jährlichen Produktivitätsverlust von 17.000 Euro gerechnet werden; dazu addieren sich Therapie- und Pflegekosten von 23.000 Euro. Eine früh begonnene Therapie mit immunmodulatorischen Biopharmazeutika, die selbst nur 9.000 Euro pro Jahr kostet, kann aber das Erreichen dieses oder eines noch schwereren Stadiums um Jahre hinauszögern. Umso erstaunlicher, dass immer noch 33 Prozent der Patienten - für die sie geeignet wären - diese Biopharmazeutika nicht erhalten. "Wir müssen das Silodenken aufgeben", forderte Mathias angesichts dieses Ergebnisses. "Eine Fixierung auf die Arzneimittelausgaben greift zu kurz; auch andere Ausgabenposten müssen berücksichtigt werden."

Der Studie untersucht auch die seit 2006 verfügbare Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs: In Deutschland stehen da den Kosten für die Impfung ganzer Mädchen-Jahrgänge von rund 160 Millionen Euro langfristig Einsparungen von jährlich 200 Millionen Euro gegenüber. Die Impfung ist also nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Es bleibt aber abzuwarten, in wieweit dieses Potenzial tatsächlich ausgeschöpft werden wird.

Mitunter erreichen Biopharmazeutika heute tatsächlich schon 80 Prozent und mehr der Patienten, für die sie von Nutzen sein können, etwa im Falle des Antikörpers Trastuzumab gegen bestimmte Formen von Brustkrebs. Doch in vielen anderen Fällen kommen sie nur bei einer Minderheit der Patienten an. Die Studie gibt Empfehlungen, wie Hürden überwunden werden können:

- Bei der Forschung und Entwicklung käme es den Patienten zugute, wenn die Arzneimittelentwicklung beschleunigt und seltene Krankheiten verstärkt erforscht würden.

- Bei Diagnose und Therapie behindern insbesondere hoher Dokumentationsaufwand und Budgetdruck die Ärzte dabei, Biopharmazeutika umfassend zu verordnen. Mehr Weiterbildung und Zugang zu Routine-Screenings könnte dazu führen, dass seltenere Erkrankungen im Schnitt früher erkannt und wirksam behandelt werden. In vielen Fällen werden klar definierte Behandlungspfade benötigt, damit sich die Zusammenarbeit von Fach- und Allgemeinärzten, Kliniken und ambulanten Ärzten verbessert.

- Hinsichtlich der Erstattung von Therapiekosten brauchen Ärzte künftig mehr Sicherheit, dass ihnen bei Leitlinien-gerechtem Verordnen von Biopharmazeutika keine Regressforderungen der Krankenkassen entstehen. Bei den kommenden Kosten-Nutzen-Bewertungen für Arzneimittel, die ja Erstattungsgrundlage werden, sollten in Deutschland tatsächlich internationale Standards gelten. Speziell für seltene Erkrankungen sollte Deutschland - wie andere EU-Länder - "Compassionate use"-Programme vorlegen. Durch sie können solche Medikamente erstattet werden, die nach erfolgreicher klinischer Prüfung noch im Zulassungsverfahren sind, aber jetzt schon von Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten benötigt werden.

"Für das Feld der Biopharmazeutika und für alle, die in Deutschland in der medizinischen Biotechnologie arbeiten, besteht Grund zum Optimismus", so Mathias. Der deutsche Umsatz mit Biopharmazeutika erreichte 2006 die 3-Milliarden-Grenze (3.130 Millionen Euro) und trägt inzwischen 12 Prozent zum Gesamtumsatz der Pharma/Biotech-Branche bei. Deutschland verfügt mittlerweile über 85 Biotech-Unternehmen, die erfolgreich Produkte auf den Markt gebracht oder eine innovative Produktpipeline haben. Jeder vierte Mitarbeiter in der Pharma/Biotech-Industrie arbeitet schon im Bereich Biotechnologie. Aufgrund der engen Zusammenarbeit von großen Pharma- und kleineren Biotech-Unternehmen bei der Produktentwicklung und Technologie-Nutzung sah Mathias eine isolierte Betrachtung der Biotech-Startups als nicht aussagekräftig für die eigentliche Stärke der medizinischen Biotechnologie in Deutschland an. "Medizinische Biotechnologie", bilanzierte Mathias, "ist also von großem Nutzen für die Patienten und den Standort Deutschland gleichermaßen."

In den kommenden Jahren dürfte der Studie zufolge die Bedeutung von Biopharmazeutika weiter wachsen. Denn die Zahl in klinischer Erprobung befindlicher Medikamente aus biopharmazeutischer Forschung hat sich 2006 um 23 Prozent auf 321 Medikamente erweitert. Ein Drittel dieser Präparate richtet sich gegen verschiedene Arten von Krebs.

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