Das Ende der fetten Gewinne: Ein Mann rollt den US-Pharmamarkt auf

25.09.2017 - USA

(dpa-AFX) Der Gesundheitssektor in den Vereinigten Staaten ist im Umbruch. Ausufernde Kosten haben Versicherer und Politik auf den Plan gerufen. Kurzfristig gehörten die Hersteller der deutlich günstigeren Nachahmermedikamente zu den Profiteuren der Entwicklung. Doch jetzt geht es auch ihnen an den Kragen. Die anstehenden Bilanzen zum dritten Quartal dürften eine klare Sprache sprechen.

Bereits zu seiner Halbjahresbilanz schockte der weltgrößte Hersteller der sogenannten Generika die Märkte: Teva musste seine Dividende und seine Gewinnziele für das laufende Jahr kappen. Auch der kleinere Konkurrent Mylan zog seine ursprüngliche Jahresprognose zurück. Schuld waren wie bei Ratiopharm-Mutter Teva nicht nur hausgemachte Probleme, sondern auch der Wind, der in der Arzneimittelbehörde FDA seit der Amtsübernahme durch den neuen Chef Scott Gottlieb weht.

Der Mediziner hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, den jüngsten Rückstand bei den Generikazulassungen wieder aufzuholen. Die Beweggründe Gottliebs, der auch einen Bachelor-Abschluss in Ökonomie besitzt, sind einfach: Generika sind im Vergleich zum Originalpräparat um ein Vielfaches günstiger. Damit sind sie ein probates Mittel zur Kostenkontrolle. Ein Beispiel: Allein im letzten Jahr wurden durch die wichtigsten fünf Nachahmermittel rund 50 Milliarden Dollar in den USA eingespart, wie Zahlen der Association for Accessible Medicines belegen.

Dabei bekommen die Generika in den Vereinigten Staaten gerade besonders viel Aufmerksamkeit, denn das US-Gesundheitssystem ächzt unter den höchsten Ausgaben pro Kopf weltweit. Und die steigen weiter. Nach Angaben des Informationsdienstleisters Economist Intelligence sind sie von rund 8.500 Dollar pro Kopf im Jahr 2011 auf geschätzte 10.000 Dollar im vergangenen Jahr geklettert.

Zwar machen Medikamente mit etwa 10 Prozent noch einen vergleichsweise geringen Teil der Gesundheitskosten aus, doch waren die USA bisher ein El Dorado für die Pharmakonzerne: Die Hersteller konnten lange - von einigen rechtlich geregelten Rabattvorgaben abgesehen - ihre Preise nach Gutdünken festlegen. Kritiker monieren zudem, dass das staatliche Gesundheitssystem kaum Anreize für präventive und kostensparende Maßnahmen schafft.

Weil die Kosten aus dem Ruder laufen, drängen die Versicherer seit einigen Jahren auf Ausgabenkürzungen. In ihrem Auftrag sind große Einkaufsorganisationen unterwegs, die bei den Medikamentenherstellern möglichst hohe Rabatte herausschlagen sollen. Neueste Initiativen sind sogenannte Pay-for-Performance-Modelle - Verträge mit Herstellern, die eine leistungsbezogene Vergütung vorsehen und beispielsweise abhängig vom Wirken des Medikaments sind.

Der Arzneimittelbehörde FDA sind in diesem Gefüge jedoch die Hände gebunden. Sie selbst kann von Rechts wegen keinen direkten Einfluss auf die Preisfestlegung nehmen. Deshalb geht FDA-Chef Gottlieb nun verstärkt den indirekten Weg über die Generika, deren Zulassungszahlen seit 2012 zurückgegangen sind. Um gegenzusteuern, hat die Medikamentenaufsicht etwa die Fristen verkürzt, binnen derer nach dem offiziell gestellten Antrag dem Nachahmerprodukt grünes Licht gegeben wird. Mit mehr Anbietern auf dem Markt kommen nun aber die Generikahersteller unter Druck, ihre Preise zu senken, wie bereits zum Halbjahr deutlich wurde. Itzhak Peterburg, der Interimschef von Teva, sprach damals von einer "beschleunigten Erosion der Preise".

Dabei weht den Konzernen ohnehin bereits eine steife Brise von der sogenannten "Patentklippe" entgegen. "Noch im Jahr 2012 waren weltweit Patente für Originalpräparate mit einem Volumen von 32 Milliarden Dollar abgelaufen und damit der Weg für Nachahmer frei. Diese Zahl ist bis heute kontinuierlich gesunken", sagt Michael Kunst, Partner und Pharmaexperte bei der Managementberatung Bain & Company. "2017 wird das Volumen nur noch 11,7 Milliarden Dollar betragen."

Damit dürfte sich der Kampf unter den Nachahmer-Herstellern weiter verschärfen. Denn Zeit bedeutet nach einem Patentablauf bares Geld: Ein Generikahersteller, der als erstes sein Nachahmerprodukt in den USA auf den Markt bringt, bekommt dafür 90 Tage Exklusivität und eine Preisgarantie. Um dann noch genug vom Kuchen abzubekommen, dürften die Nachfolger erst recht an ihren Preisen schrauben. Die Branche hat sich deshalb bereits auf eine längere Durststrecke eingestellt. So räumte etwa Mylan-Konzernchefin Heather Bresch ein, dass der Preisdruck wohl "eine gewisse Zeit" erhalten bleibe.

Andererseits stellen Beobachter bereits erste Preiserhöhungs-Szenarien auf. Denn die Originalhersteller, die durch zunehmende Generikakonkurrenz unter sinkenden Einnahmen leiden, könnten diese durch anziehende Preise - zum Beispiel bei Medikamenten für seltene Krankheiten - auszugleichen versuchen, gibt Vir Lakshman, Leiter Pharma der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, zu bedenken. Gleichzeitig verschärft die Situation den Zwang, innovativ zu sein und in die Forschung zu investieren. "Denn je einzigartiger das Medikament, desto mehr wird ein Konzern dafür verlangen können", sagt Kunst von Bain & Company.

Damit steht die Politik weiter vor einem Dilemma: Zwar dürfte der Druck in den USA auf die Hersteller anhalten, glaubt KPMG-Experte Lakshman. "Doch werden Politiker der Tatsache Rechnung zollen müssen, dass die für die Patientenversorgung notwendige Forschung nur bei entsprechenden Erträgen der Pharmakonzerne möglich ist." Angesichts steigender Forschungs- und Entwicklungsausgaben und einer alternden Bevölkerung dürfte der Anstieg der Gesundheitskosten in den USA damit kaum zu bremsen sein, sagt Lakshman.

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