Personalisierte Krebstherapie: erst am Rechner, dann am Krankenbett

Nebenwirkungen mindern, Begleiterkrankungen beachten: Neues Oncotyrol-Projekt entwickelt Software für Onkologen

25.08.2011 - Österreich

Die Diagnose Krebs macht Angst – nicht nur vor der Krankheit, sondern auch vor der Therapie. Wie wird es mir nach der Operation gehen? Halte ich eine Chemotherapie durch? Welche Folgen hat die Bestrahlung? Die Nebenwirkungen der Therapie so gering wie möglich zu halten ohne den Behandlungserfolg zu gefährden, ist der dringendste Wunsch der meisten Patienten. Für die behandelnden Ärzte bedeutet das schwierige Abwägungen, zumal jeder Patient, jede Patientin und jeder Tumor anders ist. Oncotyrol, das Innsbrucker Zentrum für personalisierte Krebsmedizin, hat nun ein neues Projekt gestartet, das helfen soll, Tumortherapien noch individueller anzupassen. Gemeinsam mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb in Bozen, den Krankenhäusern Meran und Villach und dem Software-Entwickler PCS in Klagenfurt wird ein Expertensystem zum Management onkologischer Patienten weiterentwickelt. Es soll helfen, Krebskranke sicher und schonend zu behandeln, aber gleichzeitig beste Therapiequalität nach dem neusten Wissensstand garantieren.

Prof. Manfred Mitterer und sein Team haben das Expertensystem in den letzten Jahren in Meran aufgebaut. Darin ist eine einzigartige Fülle von medizinischem Fachwissen enthalten, beispielsweise die neuesten Leitlinien der amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften zur Behandlung diverser Tumortypen und umfassende Datenbanken über Medikamente und Naturstoffe. „Doch momentan muss man das System schon sehr gut kennen, um es bedienen zu können“, bedauert Mitterer. Das soll sich nun ändern: mit Hilfe von Oncotyrol und der Medizinsoftware-Expertise von PCS soll die Benutzerfreundlichkeit erhöht werden. Außerdem wird die Datenstruktur so geändert, dass sie internationalen IT-Standards entspricht. Das macht das System universell kompatibel, also auch auf andere Kliniken übertragbar, und erleichtert die Vernetzung und den Datenaustauch. Alfred Amann von PCS ergänzt: „Heute bereits ist Tirol Vorreiter in der Gesundheitsvernetzung. Das neue Oncotyrol-Projekt trägt einen weiteren Mosaikstein dazu bei.“ Es läuft zunächst bis Mitte 2012 und soll dann in einem Folgeprojekt ausgeweitet werden, beispielsweise durch Einbeziehung psychischer Befindlichkeiten.

Computer macht Therapie-Vorschläge

Die Patienten in Südtirol profitieren heute bereits. Das Expertensystem kennt Hunderte verschiedener Chemotherapie-Protokolle, warnt vor Unter- oder Überdosierung und weist auf Wechselwirkungen zwischen gleichzeitig eingenommenen Medikamenten oder Naturstoffen oder auf Allergien hin. Mit seiner Hilfe wird für alle Patienten ein genaues Behandlungsschema vorgeschlagen. „Damit wird uns Ärzten die Therapie-Entscheidung in keiner Weise abgenommen. Aber sie wird uns erleichtert, weil uns für jeden einzelnen Fall maßgeschneiderte Informationen schnell und umfassend zur Verfügung stehen“, erklärt Mitterer. Auch wird eine telemedizinische Expertenberatung vereinfacht, weil alle Daten, Behandlungsprotokolle, Röntgenbilder und andere Aufnahmen in Echtzeit elektronisch vorliegen. So besprechen die Meraner Ärzte heute bereits jeden einzelnen Fall in einem Tumorboard mit Spezialisten aus der Universitätsklinik Innsbruck.

Daten für Vorsorge und Forschung

Doch nicht nur die aktuelle Patientenversorgung ist den Ärzten und Entwicklern in Oncotyrol ein Anliegen, sondern auch die künftige: das Software-System leistet einen wichtigen Beitrag zur Krebsvorsorge. Es baut ein Clinical Data Warehouse auf, mit dessen Hilfe Fehlentwicklungen in der Gesundheitsversorgung rechtzeitig erkannt werden, beispielsweise unzureichende Früherkennung bestimmter Tumorarten.

Außerdem liefert das System Daten für die Forschung, die das „wirkliche Leben“ widerspiegeln. Sie sind eine wichtige Ergänzung zur Grundlagenforschung, die in sogenannten kontrollierten, randomisierten Studien abläuft. Letztere genügen zwar wissenschaftlich den höchsten Ansprüchen, finden aber unter relativ künstlichen Bedingungen statt und haben daher mit dem normalen Klinikalltag und den realen Patienten oft nur wenig gemein.

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