Gerüchte um Übernahmen wecken wieder Interesse an Biotechwerten

22.05.2008

(dpa-AFX) Gerüchte um Übernahmen in der deutschen Biotechszene und die Hoffnung auf satte Kursgewinne haben das Interesse der Anleger an der lange vernachlässigten Branche wieder aufleben lassen. Die börsennotierten Biotech-Aktien reagieren seit Wochen mit teils heftigen Kursaufschlägen auf echte Nachrichten und gezielt gestreute Gerüchte. "Ich würde mir wünschen, dass Studienerfolge und nicht Gerüchte für Schlagzeilen sorgen", sagt Thomas Strüngmann, Aufsichtsratsmitglied bei MediGene und intimer Kenner der Pharma- und Biotechbranche im Gespräch mit der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX. Zeitweise mehr als 15 Prozent zogen die Papiere von MediGene an, nachdem in Branchenkreisen über ein Interesse des weltgrößten Pharmakonzerns Pfizer an deutschen Biotech-Unternehmen und besonders an MediGene spekuliert wurde.

Pfizer müsste für eine Übernahme von MediGene nach Ansicht aus Branchenkreisen wohl rund 400 Millionen Euro auf den Tisch legen. Bei einer Börsenkapitalisierung von zuletzt rund 211 Millionen Euro wäre dies ein Aufpreis von fast 100 Prozent. Analysiert man die Übernahmen der letzten 18 Monate, "werden für kleine Biotech-Firmen mit interessanter Pipeline Aufschläge von 100 Prozent und mehr bezahlt", sagt Christian Lach, Mitglied des Managementteams der auf Biotech-Werte spezialisierten BB BIOTECH. 400 Millionen Euro könnte der Pharmakonzern, der 2007 einen Umsatz von 48,6 Milliarden Dollar verbuchte und mit dem Blutfettsenker Lipitor im gleichen Jahr knapp 13 Milliarden Dollar umsetzte, locker aus der Portokasse zahlen.

Analysten hatten Pfizer geraten, Übernahmen in einer Höhe von 15 Milliarden Dollar zu stemmen, um den Nachschub an neuen Medikamenten nach dem Patentablauf für Lipitor zu sichern. Lipitor ist das weltweit meistverkaufte Medikament und verliert in den USA 2012 seinen lukrativen Patentschutz. Pfizer präferiert derzeit eher kleinere Zukäufe und hat sich in jüngsten Zeit durch die Übernahme von Biotech-Gesellschaften verstärkt. "Große Übernahmen wie der Kauf von MedImmune durch AstraZeneca für mehr als 15 Milliarden Dollar sind in der Branche derzeit eher eine Seltenheit", so Biotech-Experte Lach. Vielmehr stelle man fest, dass Pharma-Firmen anstatt Mega-Deals selektiv kleine Transaktionen bevorzugen, mit besserem Chancen/Risiko-Profil. Der Trend gehe damit auch weg vom Outsourcing der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, welche in der Vergangenheit den Grundstein für viele erfolgreiche Biotech-Firmen gelegt hätte.

"MediGene ist mit dem Schwerpunkt Krebsforschung im Grunde für jeden größeren Pharmakonzern mit Aktivitäten auf dem Gebiet interessant", sagt Analyst Hanns Frohnmeyer von der Landesbank Baden-Württemberg. Ähnlich wie Lach hält Frohnmeyer bei einer nicht auszuschließenden Übernahme von MediGene einen Preis von 400 Millionen Euro nicht für unmöglich. "Seit 2007 wurden bei Übernahmen teilweise Aufschläge von 50 bis 150 Prozent auf den Aktienkurs gezahlt." Bei einer weiter steigenden Marktkapitalisierung und einem hohen Handelsvolumen wäre auch ein erneuter Einzug von MediGene in den TecDAX möglich.

MediGene ist die einzige deutsche Biotechfirma, die mit dem Prostatamittel Eligard und der Genitalwarzensalbe Veregen bereits zwei Medikamente auf dem Markt hat. Unternehmenschef Peter Heinrich sieht die Aussichten auf eine Partnerschaft für das Krebsmittel Endotag durch die jüngsten Studien zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs deutlich gestärkt. "Mehrere führende Pharmaunternehmen haben bereits starkes Interesse angemeldet und Gespräche zur Zusammenarbeit bei Endotag begonnen", hatte Heinrich kürzlich ohne Verweis auf Pfizer gesagt. MediGene traut alleine dem Mittel Spitzenumsätze von mehr als einer Milliarde Euro zu. Eine Partnerschaft würde MediGene finanziellen Spielraum bringen: Ende März verfügte die Gesellschaft noch über Barmittel in Höhe von knapp 38 Millionen Euro.

Nach Ansicht der Biotech-Experten von Ernst&Young kommt die deutsche Biotech-Szene ungeachtet der Rückschläge bei GPC Biotech und Jerini gut voran. "Insgesamt ist die Zahl der Wirkstoffe in der Medikamentenentwicklung von 322 auf 316 gesunken. In der klinischen Prüfung - also in den Phasen I bis III- befinden sich aber derzeit mit 129 Wirkstoffen mehr Projekte als im Vorjahr die 124 des Vorjahres. Zudem sind aktuell sechs Wirkstoffe (VJ: 2) in der Zulassungsphase", erklärt die Autorin des Biotech-Reports 2008, Julia Schüler.

Die Branche ist nervös und so werden in den kommenden Tagen wohl erneut Übernahmegerüchte die Runde machen. Ein überzeugender Befreiungsschlag wäre jedoch für das Ansehen der Branche wünschenswerter als hypothetische Übernahmespiele wie die jüngsten um GPC Biotech und Wilex.

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