Bio-Software aus Greifswald bringt Eiweiße zum Sprechen

11.02.2002
GREIFSWALD (dpa-AFX) - Die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat im vergangenen Jahr weltweit für Euphorie, aber auch Ernüchterung gesorgt. Während viele Menschen mit der Entdeckung der genetischen Landkarte auf eine erfolgreiche Bekämpfung schlimmer Krankheiten und nachteiliger erblicher Veranlagungen hofften, wähnen sich Biologen und Genetiker erst am Anfang der Arbeit. "Über viele Gene und die von ihnen verschlüsselten Proteine haben wir inzwischen einen hohen Kenntnisstand erreicht. Wir wissen aber kaum etwas über deren Funktion und deren Zusammenspiel in der Zelle", sagt der Greifswalder Mikrobiologe und Unternehmensgründer Jörg Bernhardt. Er und seine Kollegen erarbeiten Grundlagen für die funktionelle Genomforschung. In ihrem Unternehmen Decodon GmbH bringen sie Proteine (Eiweiße), die wichtigsten Funktionsträger in der Zelle, gleichsam zum Sprechen. Software SOLL EIWEISSE BESCHREIBEN Die Aufgabe, an der die Firma arbeitet, ist weit komplexer als nur die Beschreibung der menschlichen Gene. Denn während dem Menschen 30.000 bis 40.000 Gene zugeschrieben werden, gehen Wissenschaftler davon aus, dass es bis zu einer Million Proteine in den Zellen gibt. Biologen, Mathematiker und Informatiker der Firma haben eine Software entwickelt, mit der nahezu alle Eiweiße einer Zelle in ihrer Menge und ihren Eigenschaften genauestens beschrieben werden können. Für die Entwicklung der Delta2D-Software erhielt die im September 2000 gegründete Firma den Technologiepreis des Landes. Die Software erleichtere die Auswertung von Proteinmustern, so genannten Gelen, ungemein, sagt Bernhardt. "Brauchte ein Biologe früher drei Tage für die Auswertung von zehn Proben, ist mit Hilfe von Delta2D diese Arbeit jetzt an einem Vormittag zu schaffen." Denn bisher haben Biologen Schwarz-Weiß-Bilder der 1500 Proteine umfassenden Muster erzeugt, die Bilder übereinander gelegt, um anhand von Abweichungen in Farbe, Form und Platzierung Veränderungen in der Zelle oder dem Organismus feststellen zu können. Delta2D dagegen färbt die gescannten Bilder ein, in denen die Proteine als kleine "Spots" in unterschiedlicher Farbintensität leuchten. Mit einem aufwendigen Bildverarbeitungsverfahren können die Bilder der einzelnen Proben am Computer entzerrt und übereinander gelegt werden, erklärt Decodon-Mitgründer Markus Kolbe. Dadurch könne der Biologe viel schneller und viel genauer Schlüsse ziehen, welche Veränderungen in dem Organismus vor sich gegangen sind. ÄUSSEREN FAKTOREN BEEINFLUSSEN PROTEINMUSTER Zudem seien Proteine keine statischen Funktionsträger, erläutert Bernhardt. Äußere Faktoren wie Hitze oder Sauerstoffarmut, krankhafte Veränderungen oder die Gabe eines Medikamentes spiegeln sich sofort im Proteinmuster wider. Mit Hilfe der Software können die veränderten Proteine zuverlässig beobachtet werden - und in der Endkonsequenz Krankheiten, Antibiotikaresistenzen und der Einfluss von Medikamenten genau untersucht werden. Daneben sind die Forscher, die ihr Unternehmen aus der Universität ausgründeten, in Leitprojekte der Grundlagenforschung eingebunden. Zusammen mit einer Arbeitsgruppe des Greifswalder Institut für Mikrobiologie und Molekularbiologie - einem der weltweit leistungsfähigsten Referenzlabore in der Proteomforschung an Bakterien - arbeiten sie auch an der Entwicklung neuer Produkte. Diese sollen ebenso erfolgreich am Markt platziert werden wie Delta2D. Schon jetzt wird die Software von den Pharmakonzernen Schering (Berlin) und Byk Gulden (Konstanz), in akademischen Einrichtungen in Deutschland sowie in Finnland und Frankreich eingesetzt.

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