Wissenschaftler entdeckten rein-triploide, sich geschlechtlich fortpflanzende Wirbeltiere

13.02.2002

In einer interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten der Universität Würzburg, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Ruhr-Universität Bochum konnte unlängst ein Paradigma der Wirbeltierbiologie widerlegt werden. Die Ergebnisse werden in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Genetics veröffentlicht.

Tierformen mit drei Chromosomensätzen (Triploide) galten bislang entweder als unfruchtbar oder zwangsläufig eingeschlechtig bzw. nur in Mischpopulationen gemeinsam mit Formen lebensfähig, die gerade Chromosomenzahlen aufweisen. Die Autoren stellen nunmehr Kröten einer eigenständigen Form (Batura-Kröten, Bufo pseudoraddei baturae) vor, die ausnahmslos drei Chromosomensätze besitzt und sich trotzdem zweigeschlechtig fortpflanzt. Die triploiden Männchen lösen das Problem der ungeraden Chromsomenzahl, indem sie einen Chromosomensatz eliminieren und aus den übrigen beiden mittels normaler Zellteilungen (Meiosen) Spermien mit einem Chromosomensatz produzieren (funktionelle Diploidie). Die Weibchen sind ihrerseits in der Lage, einen ihrer drei Chromosomensätze separat zu verdoppeln. Auf diese Weise erreichen auch sie eine gerade Chromosomenzahl und erzeugen dann mittels Meiosen diploide Eier (funktionelle Tetraploidie). So bringt ein Paar triploider Kröten Nachkommen mit zwei Dritteln mütterlichen und einem Drittel väterlichen Erbgutes hervor.

Gefördert durch ein Graduiertenstipendium des Landes Sachsen-Anhalt hat der hallesche Zoologe Dr. Matthias Stöck im Verlauf seiner Dissertation, die er im April 2001 bei Dr. habil. Wolf-Rüdiger Große am Institut für Zoologie der Martin-Luther-Universität verteidigte, zahlreiche Exkursionen nach Zentralasien unternommen, um dort die genetisch ungewöhnliche Verwandtschaft der heimischen Wechselkröte (Bufo viridis) zu erforschen.

Während andernorts in Asien Kröten mit zwei bzw. vier Chromosomensätzen leben, stieß Stöck bereits 1996 im Karakorumgebirge Nordpakistans auf die Triploiden. Im Verlauf zweier weiterer Exkursionen (1997, 2000) hat Stöck diese Ergebnisse erhärtet und unterdessen mit verschiedenen Fachkollegen die Mechanismen der Aufrechterhaltung stabiler Populationen untersucht.

Mit den Amphibienzytogenetik-Experten Prof. Dr. Michael Schmid und Claus Steinlein vom Institut für Humangenetik sowie Prof. Dr. Ulrich Scheer und Dr. Robert Hock vom Lehrstuhl für Zoologie I am Biozentrum der Universität Würzburg wurden die Chromosomen der Männchen und der Weibchen der Triploiden dargestellt sowie der DNA-Gehalt von Körperzellkernen bestimmt. Messungen der DNA-Gehalte der Zellkerne bei der Spermienbildung (Spermatogenese) erfolgten mit Dr. Thomas Klapperstück von der halleschen Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie mit Methoden der Tumordiagnostik. Untersuchungen der Vererbungsmuster mittels molekularer Methoden (Multilocus-Fingerprinting, Mikrosatelliten) wurden mit Prof. Dr. Manfred Schartl, Lehrstuhl Physiologische Chemie I der Universität Würzburg, durchgeführt. In enger Zusammenarbeit mit Prof. Schartl zeichneten die Zoologinnen Dr. Dunja K. Lamatsch und Dr. Kathrin P. Lampert gemeinsam mit Dr. Matthias Stöck für die molekularen Analysen verantwortlich, die teilweise methodisch durch Prof. Dr. Jörg T. Epplen, Abteilung Molekulare Humangenetik der Universität Bochum, unterstützt wurden.

Hintergrund Fast alle Wirbeltiere besitzen zwei Chromosomensätze, einen väterlichen und einen mütterlichen, sie sind also diploid. Abweichungen von dieser Regel sind unter Wirbeltieren sehr selten und meist mit Beeinträchtigungen ihrer Fitness verbunden - man denke etwa an die negativen Folgen einzelner überzähliger Chromosomen (Aneuploidie) beim Menschen. Unter den Wirbeltieren sind allerdings auch sehr seltene Organismen bekannt, die drei Chromosomensätze besitzen, folglich triploid sind. Bisher glaubte man, dass diese sich entweder gar nicht oder zumindest nicht miteinander geschlechtlich fortpflanzen können. Ursache dafür ist, dass zur Produktion von Keimzellen normalerweise in einem ersten Zellteilungsschritt (Meiose I) die Gesamtchromosomenzahl halbiert wird und väterliche und mütterliche Chromosomen nach dem Zufallsprinzip auf die Keimzellen verteilt werden. Infolge von Fehlern bei der Aufteilung ihrer ungeraden Chromsomenzahl führt Triploidie bei Wirbeltieren daher in den meisten bislang bekannten Fällen zu Unfruchtbarkeit. Ausnahmsweise entstanden in der Evolution auch rein-weibliche Arten, die sich ungeschlechtlich vermehren (Parthenogenese), indem sie alle drei Chromsomensätze an genetisch identische Töchter weitergeben (z.B. Eidechsen, Gattung Cnemidophorus). Einige Arten (z.B. Fische der Gattungen Poecilia, Salamander der Gattung Ambystoma) benötigen für diese Form der asexuellen Reproduktion die Spermien einer verwandten Art, deren genetisches Material jedoch normalerweise keinen Anteil an der Nachkommenschaft hat (spermienabhängige Parthenogenese=Gynogenese). Schließlich kennt man noch seltenere Fälle, in denen zweigeschlechtige Triploide in Mischpopulationen leben und sich dort entweder mit diploiden (z.B. Frösche der Gattung Rana) oder aber mit diploiden und tetraploiden Formen (z.B. Fische der Gattung Leuciscus) gemeinsam fortpflanzen, wodurch die Triploiden immer wieder neu entstehen. Von den rein-triploiden Batura-Kröten unterscheiden sich diese Formen einerseits durch ihr Auftreten in solch gemischten Fortpflanzungssystemen, andererseits dadurch, dass triploide Eltern nicht auf geschlechtlichem Wege triploide Nachkommen erzeugen.

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