Knochenharte Wissenschaft

Max-Planck-Wissenschaftler beweisen, dass Sehnen aus zwei Arten von Faserbündeln bestehen und simulieren im Computer, welche Knochenbauveränderungen durch Alterung und Krankheiten entstehen

14.01.2005

Anhand von Truthahnsehnen haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam in Kooperation mit Medizinern aus Wien (Österreich) und Materialwissenschaftlern aus Trieste (Italien) jetzt den Beweis erbracht, dass mineralisierte Sehnen aus zwei verschiedenen Sorten von Faserbündeln bestehen. Während mineralisierte Fasern dem Material Steifigkeit verleihen, verhindern weiche Fasern einen frühzeitigen Bruch. Die Untersuchung von sich dehnenden Sehnen im Röntgenlicht am Synchrotron in Trieste zeigte, dass sich die Kollagenfasern, die elementaren Bausteine von Sehnen und Knochen, ungleichmäßig verformen. Zusammen mit Wissenschaftlern aus Grenoble entstand zudem ein Computermodell für den Knochenumbau, mit dem man Hypothesen überprüfen sowie die Alterung und verschiedene Krankheitsszenarien im Computer simulieren kann. Hierbei zeigte sich, dass bereits geringe Veränderungen im biologischen Regelmechanismus große Auswirkungen auf die Struktur des Knochens haben können. Diese Erkenntnisse könnten für Osteoporose und deren Therapie von großer Bedeutung sein. Beide Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "Physical Review Letters" (8. Oktober und 26. November 2004) veröffentlicht.

Die mechanischen Eigenschaften von Knochen werden durch ihren komplexen hierarchischen Aufbau bestimmt. Hierarchie bedeutet in diesem Zusammenhang, vergleichbar einer russischen Matroschka-Schachtelpuppe, dass Untersuchungen auf immer kleineren Längenskalen ständig neue Strukturen zu Tage bringen. Beispiele im Knochen sind schaumartige, lamellare und Komposit-Strukturen. Die gegenseitige Beeinflussung dieser Unterstrukturen ist eine große Barriere, um die Mechanik des Knochens besser verstehen zu können. Die mineralisierte Truthahnsehne hat einen Knochen-ähnlichen, aber einfacheren Aufbau. Das Grundmaterial Kollagen findet man dort in Form von weichen, organischen Fasern und verstärkt durch steife, anorganische Mineralpartikel genau wie im Knochen. Hingegen ist die Anordnung im Wesentlichen eindimensional, da sich Kollagenfasern zu Kollagenbündeln und schließlich zur Sehne in jeweils parallelen Anordnungen zusammenschließen.

Das erleichtert die Interpretation von Messergebnissen an Sehnen erheblich. In den Experimenten an der Sychrotronquelle ELETTRA in Trieste (Italien) wurde eine Truthahnsehne im Röntgenstrahl gedehnt und simultan die Streuung des Strahls an der Sehne gemessen. Durch die periodische Anordnung der Kollagenmoleküle kommt es im Streusignal zu so genannten Bragg-Reflexen. Die Aufspaltung dieser Reflexe bei großer Dehnung der Sehne zeigt, dass sich diese überraschenderweise nicht gleichmäßig verformt, sondern offenbar aus zwei Komponenten besteht. Während die eine Komponente stark gedehnt wird, bleibt die andere ungedehnt.

In Kombination mit Untersuchungen am Elektronenmikroskop ergibt sich folgender Befund: Die mineralisierte Truthahnsehne ist ein Komposit, bestehend aus Faserbündeln mit stärkerer Versteifung durch Mineralpartikel sowie aus Bündeln, die wegen ihrer geringeren Mineralisierung weicher und daher dehnbarer sind. Wird die Sehne gedehnt, sorgt die hoch mineralisierte Komponente für eine hohe Steifigkeit bei kleinen Dehnungen. Bei größerer Dehnung brechen diese spröden Faserbündel jedoch und relaxieren in einen ungedehnten Zustand zurück. Die Last muss nun von den weicheren Fibrillen getragen werden, die allerdings äußerst dehnbar sind und somit den strukturellen Zusammenhalt der Sehne gewährleisten. Ein einfaches Zusatzexperiment unterstrich die Richtigkeit der Interpretation: Wird eine Sehne über den Punkt gedehnt, an dem die spröden Faserbündel brechen, und dann entlastet und erneut belastet, sollten die gebrochenen Fasern nicht mehr zur Steifigkeit beitragen. Genau diese signifikante Reduktion der Steifigkeit der Sehne haben die Forscher auch beobachtet.

Während sich diese Ergebnisse der Biomechanik zuordnen lassen, gehören die folgenden Resultate in den Bereich der Mechanobiologie. Prämisse der Mechanobiologie ist, dass biologische Systeme mechanische Reize wahrnehmen und auf diese reagieren. Typischerweise übernehmen Zellen die Rolle eines mechanischen Sensors, übertragen die Informationen an benachbarte Zellen und kommunizieren so miteinander. Ein solches mechanobiologisches System ist auch der menschliche Knochen. Betrachtet man einen menschlichen Wirbelkörper, so ist dieser außen von einer kompakten Schale umgeben, während sich in seinem Inneren ein schaumartiger, so genannter trabekulärer Knochen befindet. Diese schaumartige Struktur erneuert sich ständig. Nach rund vier Jahren ist ein vollständiger Umbauprozess abgeschlossen. Der Umbau wird von spezialisierten Knochenzellen bewerkstelligt. Die Osteoklasten fressen kleine Knochenpakete von der Oberfläche ab, während die Osteoblasten neuen Knochen an der Oberfläche ablegen. Von entscheidender Bedeutung ist, dass dieser Ab- und Anbau nicht rein zufällig geschieht, sondern - so vermutet man - von Knochenzellen innerhalb des Knochens reguliert wird. Messen diese Zellen eine starke lokale mechanische Belastung, signalisieren sie, die Struktur durch Knochenanbau zu verstärken, während nicht stark belastete Teile der Struktur getrost entfernt werden können.

Basierend auf diesem Regelkreis der Zellen haben die Max-Planck-Forscher ein Computer-Modell des Knochenumbaus entwickelt. Als Modellsystem dient ein menschlicher Wirbelkörper unter äußerer vertikaler Belastung. In jedem Rechenschritt muss die lokale mechanische Belastung an den verschiedenen Teilen der schaumartigen Struktur berechnet werden. Dies wird dann in Wahrscheinlichkeiten für ein Hinzufügen oder Entfernen von Knochenmaterial an der Oberfläche umgesetzt. Auch wenn man mit Strukturen startet, die nichts mit trabekulärem Knochen gemein haben (z.B. ein vollständig mit Knochen gefüllter Wirbelkörper), bildet sich in der Simulation sehr rasch eine schaumartige Struktur aus. Interessanterweise stellt sich in allen Simulationen mit der Zeit ein konstanter Wert für die Knochenmasse ein. Die schaumartige Struktur aber baut sich ständig um und wird in ihrer Struktur gröber, d.h. es gibt weniger, dafür aber dickere Trabekel.

Diese vergröberte Knochenstruktur kennt man von Osteoporose-Erkrankten. Bei fortschreitender Krankheit verliert man zunehmend Knochenmasse. Die neue Simulation zeigt nun, dass sich die Knochenmasse dann verringert, wenn man im Regelkreis der Zellen die Empfindlichkeit der Sensorzellen herabsetzt. Während sich also die Vergröberung der trabekulären Knochenstruktur als natürliches Alterungsphänomen interpretieren lässt, scheint der Knochenverlust mit einer Störung im Regelmechanismus in Zusammenhang zu stehen. Die weiteren Untersuchungen werden sich deshalb auf den Zusammenhang zwischen Knochenerkrankungen und Störungen in der Knochenzell-Regulation konzentrieren.

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