BSE-Großversuch auf Riems

Ein Jahr auf der Spur des Erregers

22.01.2004
Greifswald/Riems (dpa) - Ein eisiger Januar-Wind peitscht die See und fegt über die kleine Ostseeinsel Riems. Schwäne suchen in der Uferzone Schutz vor der Kälte. Im komfortablen Sicherheitsstall der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) nur wenig entfernt spüren junge Rinder kaum etwas von der winterlichen Unbill. Ihr Leben mit Einzelboxen, Kratzbürsten-Anlage, Auslaufbereich und Musikeinspielungen dient der Wissenschaft - und ist in spätestens drei Jahren vorbei. Vor nunmehr einem Jahr infizierten Virologen der Bundesanstalt 56 Kälber mit einer tödlichen Dosis an hochinfektiösem Hirnstammgewebe britischer BSE-Rinder. Das war der Start für Deutschlands einzigen BSE-Großversuch. Inzwischen sind 47 der Test-Rinder zu prächtigen Jungtieren herangewachsen. Neun Tiere wurden bereits im Dienst der BSE-Forschung getötet, ihre Gewebeproben werden von den Forschern untersucht. Mit der Studie wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie der BSE- Erreger vom Magen des Rindes in das Gehirn gelangt und die typischen Symptome der landläufig Rinderwahnsinn genannten Krankheit auslöst. Dazu werden die infizierten Tiere etappenweise innerhalb von 48 Monaten getötet und seziert, wie der Chef des Instituts für neue und neuartige Tierseuchenerreger, Martin Groschup, erläutert. Mehr als drei Jahre nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland ist das Wissen über den Erreger noch immer lückenhaft, die Gefahr nach Meinung der Riemser BSE-Experten noch immer nicht gebannt. «Jedes BSE-positive Tier ist eine Gefahr für den Menschen», ist sich Groschup gewiss. Seinen Angaben zufolge starben bislang weltweit mindestens 154 Menschen an der neuartigen Variante der Creutzfeldt- Jakob-Krankheit (vCJD), höchstwahrscheinlich ausgelöst durch den Verzehr von BSE-infiziertem Rindfleisch. In Deutschland ist noch kein vCJD-Fall bekannt geworden. Die Arbeit der BSE-Forscher auf der mit Zäunen gesicherten Insel gleicht einem Puzzle. «Wir haben seit Januar 2003 von den Rindern 38 000 Einzelproben genommen und in der BSE-Probenbank archiviert», erklärt Groschup. Allein von jedem der neun getöteten Rinder stehen jeweils 115 unterschiedliche Gewebeproben, vom Lymph-, über Nerven-, Leber-, Milz- und Muskelgewebe bis hin zu Blutproben in der Probenbank. Den Erreger haben die Forscher bisher nicht entdeckt. «Die Inkubationszeit ist lang. Bis zu 60 Monate können bis zum Ausbruch der Krankheit vergehen. Da sind schnelle Erfolge nicht zu erwarten», dämpft der Präsident der Einrichtung, Thomas C. Mettenleiter, die Erwartungen. Erste Mini-Spuren des Erregers hoffen die Forscher in den vor wenigen Tagen getöteten Rindern zu finden. Um den Erreger möglichst früh auf die Spur kommen zu können, haben die Virologen transgenen Mäusen Gewebeproben der Rinder injiziert. Die gentechnisch veränderten Mäuse sind nach Angaben der Forscher bis zu 10 000 Mal empfänglicher für den BSE-Erreger als die Rinder. Parallel zu dem Versuch auf der Forschungsinsel Riems wird die Entwicklung von brauchbaren Lebendtests vorangetrieben. Laut BFAV arbeiten bundesweit etwa 15 Arbeitsgruppen an Möglichkeiten, BSE am lebenden Tier nachzuweisen. Nach drastischen Maßnahmen des Verbraucherschutzministeriums, wie das Fütterungsverbot von Tiermehl oder Milchaustauscher, ist die Zahl der BSE-Fälle seit 2001 in Deutschland weiter rückläufig. 2003 wurden 54 Tiere positiv auf Rinderwahn getestet. 2002 standen noch 106, 2001 sogar 125 BSE-Fälle zu Buche. Dass Rinderwahn allerdings völlig ausgemerzt werden kann, glauben die Riemser Forscher nicht.

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