Die Wunderwaffe wird stumpf

Immer mehr Bakterien reagieren nicht mehr auf Antibiotika

11.11.2003

Antibiotika. Jahrzehntelang hatte sie den Ruf einer medizinischen Wunderwaffe. Wenn gar nichts mehr half, wurde sie für den Sieg über die gefährlichen Bakterien gezückt. Doch seit einigen Jahren kamen die Substanzen ins Gerede. Denn die Bakterien lernen durch die Häufigkeit der Begegnung mit ihrem "Feind", immer schneller und immer sicherer den Angriffen der Antibiotika zu widerstehen - sie werden zunehmend resistent. Dieser Entwicklung und deren Auswirkungen auf den Klinikalltag widmete sich kürzlich ein Symposium, zu dem die Universität Leipzig eingeladen hatte. Koordinator der Veranstaltung war Prof. Dr. Arne C. Rodloff, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie der Medizinischen Fakultät.

"Dieses Thema ist deshalb so brisant", erläutert Rodloff, "weil Infektionskrankheiten auch in den Industrieländern wieder zunehmen und die Mittel dagegen an Wirksamkeit verlieren. Beispielsweise kommen jährlich 250.000 Menschen in der Bundesrepublik wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus, jeder Zehnte stirbt daran. Weitaus mehr Fälle werden ambulant behandelt. Das Antibiotikum, das bisher gegen die Pneumokokken, also die Erreger der Lungenentzündung, eingesetzt wurde, hat jedoch eine steigende Versagerrate; die liegt jetzt bei 20 Prozent. Das bedeutet: Die Pneumokokken werden resistent!" Und dabei kann Deutschland - und hier insbesondere der Osten - noch froh sein, relativ unangepasste Bakterien zu beherbergen. In den USA, Spanien und Frankreich beispielsweise ist deren Resistenzrate gegenüber den gängigen Antibiotika drei- bis viermal so hoch.

Also gibt es - da die Waffen der Mediziner stumpf werden - Grund zur Panik? Sind wir Tuberkulose, Lungenentzündung, Harnwegsinfektionen und Wundinfektionen nach chirurgischen Eingriffen bald wieder so hilflos ausgeliefert wie unsere Urgroßeltern? "Nein, denn wir wissen inzwischen viel mehr über die krankmachenden Eigenschaften von Bakterien, Viren und Pilzen aber auch über die Wirkungsweise von Impfstoffen und Antibiotika", so Rodloff. "Nur muss die inzwischen endlich bröckelnde Antibiotika-Gläubigkeit gänzlich abgelegt werden. Es ist sinnlos, bei jedem grippalen Infekt beim Hausarzt Antibiotika einzufordern. Die helfen nämlich ohnehin nur bei einer bakteriellen und nicht bei einer Viruserkrankung." Eine Faustregel für die Selbstbeobachtung des Patienten: Weißlicher Husten-Auswurf deutet auf eine Virus-Infektion hin, grünlich-gelblicher auf Bakterien. Ist allerdings klar, dass Bakterien die Erreger sind, dann bringt es auch nichts, den Helden zu spielen und verschriebene Antibiotika nicht oder nur teilweise einzunehmen." Das nämlich wäre für die Erreger nicht das Ende, sondern nur ein gutes "Training".

Allerdings benennt Rodloff auch ein gesundheitspolitisches Problem: "Die Erregerdiagnostik wird im Alltag der niedergelassenen Kollegen aus Kosten- und Logistikgründen oftmals vernachlässigt. Damit stehen epidemiologische Daten, die eine wesentliche Grundlage bei der Auswahl eines Antibiotikums sind, nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung. Die Resistenzentwicklung kann so nicht zuverlässig beurteilt werden und die Unsicherheiten bei der Therapie werden größer."

Die Mediziner sieht Rodloff aber noch unter anderen Aspekten herausgefordert: "Je mehr verschiedene Antibiotika wir geben, desto schwerer fällt den Bakterien ihre Anpassung. Ich würde z.B. diese Vielfalt auch nutzen und zwei Patienten mit Lungenentzündung, die in einem Krankenhauszimmer liegen, nicht ohne Not mit dem gleichen Medikament therapieren. So könnten Erreger, die bei der einen Person eventuell resistent geworden sind und übertragen werden, am Antibiotikum der anderen schon wieder scheitern." Mit Blick in Richtung Pharmaindustrie macht Rodloff allerdings auch keinen Hehl aus seiner Unzufriedenheit: "Es werden zu wenig neue Antibiotika entwickelt, die den sich schnell wandelnden Erregern immer wieder ein Schnippchen schlagen können. Vermutlich lohnt sich für die Unternehmen dieser Wettlauf mit der Natur nicht mehr."

Doch selbst der immer sparsamere, gezieltere Umgang mit immer verschiedenartigeren Antibiotika geht das Problem nur von einer Seite an. "Der beste Weg, Infektionen die Stirn zu bieten, ist nach wie vor und mehr denn je die Impfung", mahnt Rodloff. "Es ist ebenfalls die Antibiotika-Gläubigkeit, die Millionen Menschen davon abhält, alle Möglichkeiten der Prophylaxe auszunutzen. Wenn nun mal klar ist, dass die aktuellen Medikamente den Pneumokokken immer hilfloser gegenüberstehen, dann spricht doch alles dafür, sich gegen dieses Erreger impfen zu lassen. Allen Menschen über 60 empfehle ich das dringend."

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