Morbus
Whipple ist eine seltene chronische Infektionskrankheit. Das Bakterium Tropheryma whipplei kann fast alle Organe befallen; entsprechend
vielfältig sind die Symptome der Patienten: Die Palette reicht von Durchfall über Gewichtsverlust und Gelenkentzündung bis hin zu
Sehstörungen,
Schlaflosigkeit oder psychiatrischer Veränderung. Und entsprechend häufig wird die Erkrankung nicht erkannt. Nur etwa 30 neue Fälle werden in der
Bundesrepublik pro Jahr festgestellt. Obwohl Morbus Whipple schon seit fast einem Jahrhundert bekannt ist - entdeckt hatte den Erreger 1907 der
Amerikaner George Whipple - gibt die Krankheit noch heute Rätsel auf. Zwar kann die früher oft tödlich verlaufende Erkrankung seit den 1950er
Jahren mit
Antibiotika behandelt und in vielen Fällen geheilt werden. Aufgrund ihrer Seltenheit gibt es aber bisher keine systematischen Studien zu
einer Reihe von Fragen, so etwa zu den Krankheitsursachen, den genetischen Grundlagen oder zur verbesserten Diagnosestellung. Die Therapie
basiert heute noch auf empirischen Beobachtungen, da der Erreger bislang nicht anzüchtbar ist und daher Antibiotika nicht ausgetestet werden
können. Auch Ergebnisse von Therapiestudien liegen bislang nicht vor.
An diesem Punkt setzt ein neues multidisziplinäres Europäisches Netzwerk an, das jetzt für vier Jahre von der Europäischen Union mit 2,25
Millionen Euro gefördert wird. Wissenschaftler aus zur Zeit fünf europäischen Ländern sowie auch Experten aus den USA arbeiten gemeinsam
daran, das Verständnis der Interaktion von Mensch, Erreger und Umgebungsfaktoren bei Morbus Whipple zu verbessern. Koordinator des
Gesamtprojektes ist Privatdozent Dr. Thomas Marth, der mit seiner Arbeitsgruppe an der Deutschen Klinik für
Diagnostik in Wiesbaden tätig ist.
An dem Forschungsprojekt arbeiten Prof. Dr. Gerhard E. Feurle vom DRK Krankenhaus Neuwied, Prof. Dr. Dr. Thomas Schneider und Prof. Dr.
Martin Zeitz vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin der FU Berlin sowie Prof. Dr. Hans Lehrach und Dr. Ralf Sudbrak vom Max Planck
Institut für Molekulare
Genetik in Berlin. Von Seiten der Medizinischen Fakultät der Saar-Universität in Homburg ist an dem Projekt die
Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Andreas Stallmach aus der Klinik für
Innere Medizin II beteiligt.
Die Wissenschaftler erwarten von den Forschungsarbeiten im Rahmen des Europäischen Netzwerks erhebliche Fortschritte für Diagnose und
Therapie bei Morbus Whipple: So soll die Krankheit besser erkennbar, ihr Verlauf besser vorhersagbar und die Therapieansätze individualisierbarer
werden.
Gewebeproben von Morbus Whipple-Patienten und Krankheitsverläufe werden in einer gemeinsamen Daten- und Gewebebank gesammelt. Diese
zentrale Einrichtung wie auch die Gesamtkoordination des Projektes sind neben der Bearbeitung verschiedener wissenschaftlicher Fragestellungen
(insbesondere nach der immunologischen Analyse der T-Zellfunktionen) Aufgabe des Europäischen Studienzentrums, welches in Wiesbaden an der
Deutschen Klinik für Diagnostik angesiedelt ist. Viele der geplanten Untersuchungen basieren auf der Hypothese, dass Patienten mit Morbus
Whipple eine definierte Immunschwäche aufweisen, die die Bekämpfung des Erregers verhindert und so das Entstehen der Infektionserkrankung
ermöglicht.
Whipple-
Bakterien kommen wahrscheinlich in der Umwelt (z.B. im Trinkwasser) vor, aber nur ein kleiner Teil von Personen erkrankt. Daher soll in
Studien zum einen der bei den betroffenen Menschen vermutete immungenetische Defekt erforscht werden. In Homburg werden die
Wissenschaftler um Professor Stallmach molekulargenetische Untersuchungen zu Veränderungen im
Immunsystem des Magen-Darm-Traktes
durchführen. Zum anderen wird erforscht, wo das Bakterium in der Umwelt wie häufig nachweisbar ist. Therapiestudien und klinische
Behandlungsstudien sollen die antibiotische Therapie verbessern und neue, experimentelle Therapieformen untersuchen. So soll Patienten, die auf
konventionelle
Therapien nicht ansprechen, ein Zugang zu alternativen Behandlungsmöglichkeiten eröffnet werden. Auch die weltweit erste
angelaufene Therapiestudie (SIMW) ist Teil des Europäischen Projektes: Sie befasst sich mit dem neurologischen und allgemeinen
Krankheitsverlauf bei Morbus Whipple-Patienten. Professor Feurle aus der Inneren Abteilung I des DRK Krankenhauses Neuwied ist seit vielen
Jahren bei der Erforschung der Erkrankung aktiv und leitet diesen Teil der Studien. Am Berliner Institut beschäftigen sich die Professoren Schneider
und Zeitz (Medizinische Klinik I mit Schwerpunkten
Gastroenterologie und Infektiologie) mit den Grundlagen der gestörten Immunfunktion und den
Möglichkeiten neuerer Behandlungsverfahren bei Patienten, die auf Therapien bislang nicht ansprechen. Weitere Studien sollen die bislang
unbefriedigenden Diagnosemöglichkeiten verbessern und den Erreger mikrobiologisch charakterisieren. Spezifische Serumantikörper zu entdecken,
die etwa zum Screening der Erkrankung und zur Überwachung der Therapie eingesetzt werden könnten, ist das Ziel eines immun-basierten
Testsystems (ELISA), das entwickelt werden soll. Und die Sequenzierung von Tropheryma whipplei soll bei der Bestimmung der Stammvariabilität
des Erregers und der Entwicklung von Tests zur Bestimmung der antibiotischen Empfindlichkeit helfen. Darüber hinaus sind epidemiologische und
genetische Arbeitsprojekte geplant. Die Aufdeckung möglicher genetischer Defekte wird durch das Max Planck Institut für Molekulare Genetik,
Berlin unter der Leitung von Professor Lehrach und Dr. Sudbrak angegangen.