Wenn Nervenzellen miteinander reden – und Forscher zusehen

Neurobiologen können die Aktivität von Nervenzellen im Mäusegehirn in Echtzeit verfolgen

02.11.2016 - Österreich

Eine einzelne Nervenzelle kann weder Gedanken hervorbringen noch Verhalten steuern - Gehirnleistungen sind immer Teamwork. Aktive Nervenzellen bilden ausgedehnte Netzwerke und kommunizieren ständig miteinander. Wissenschaftler um Alipasha Vaziri am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) und an der Rockefeller University (New York) entwickelten eine Technik, mit der sie diese Aktivität in dreidimensionalen Aufnahmen abbilden können. Im Journal Nature Methods beschreiben sie Experimente, bei denen sie die Signale tausender Neuronen im Gehirn aktiver Mäuse aufzeichnen und deren Kommunikation untereinander sichtbar machen konnten.

Alipasha Vaziri

Dreidimensionaler Ausschnitt aus dem Gehirn einer Maus. Die Nervenzellen leuchten auf, wenn sie einander Signale senden. Dieser Bereich der Gehirnrinde ist für die Planung von Bewegung zuständig. Die Nervenzellen wurden genetisch verändert und fluoreszieren hell, wenn sie Kalziumionen aufnehmen – ein Zeichen für Aktivität.

„Unser Ziel ist es zu verstehen, wie weitläufig vernetzte Neuronen in Echtzeit miteinander ‚reden’ und wie diese Dynamik das Verhalten steuert“, sagt Alipasha Vaziri, der in Wien eine Arbeitsgruppe am IMP leitet und Associate Professor sowie Leiter des Laboratory of Neurotechnology & Biophysics an der Rockefeller University ist. „Mit neu erarbeiteten bildgebenden Verfahren, die auf der von uns entwickelten Technik des ‚light sculpting’ basieren, können wir die Aktivität eines Großteiles der Neuronen abbilden, die in der Gehirnrinde eine funktionale Einheit bilden. Damit sind wir unserem Ziel einen großen Schritt nähergekommen.“

Die technischen Herausforderungen an eine solche Methode sind enorm; schließlich müssen sehr kurzlebige Signale innerhalb einer Vielzahl von Zellen eingefangen werden, während gleichzeitig große Teile des Gehirngewebes beobachtet werden.

Das Team um Vaziri begann vor etwa sechs Jahren am IMP damit, die erforderlichen Technologien zu entwickeln. Zunächst gelang es den Forschern, mit speziellen lichtmikroskopischen Methoden die Aktivität aller 302 Nervenzellen eines Fadenwurm-Gehirns abzubilden. Im nächsten Schritt konnte das wesentlich komplexere Gehirn einer Zebrafisch-Larve mit rund 100.000 Neuronen dargestellt werden. Das Mausgehirn schließlich ist nicht nur wegen seiner 70 Millionen Nervenzellen besonders herausfordernd. Im Gegensatz zu den transparenten Strukturen bei Wurm und Fisch ist es zudem undurchsichtig.

Um die Aktivität der Maus-Neuronen sichtbar zu machen, mussten die Forscher zu einem genetischen Trick greifen. Sie veränderten die Zellen so, dass sie fluoreszierendes Licht aussandten, wann immer sie aktiv waren. Je stärker das Signal, desto intensiver leuchteten die Zellen.

Das Mikroskop-System, das die Forscher zum Aufspüren dieser Signale entwickelten, musste beinahe Unmögliches leisten. Robert Prevedel, der Erstautor der Studie, erläutert die Anforderungen: „Wir mussten in jeder Sekunde Millionen von Bildpunkten abtasten – einen nach dem anderen. Um die Fluoreszenz der Zellen innerhalb von 250 Nanosekunden (weniger als eine Millionstel Sekunde) anzuregen, mussten wir ein eigenes Laser-System konstruieren und das Licht innerhalb des Mikroskops auf eine Weise manipulieren, wie es bei normalen Mikroskopen nicht möglich wäre.“ Robert Prevedel übernahm diese Aufgabe als Postdoktorand im Labor von Alipasha Vaziri und leitet mittlerweile selbst eine Arbeitsgruppe am EMBL in Heidelberg.

Die Technik, mit der alle diese Anforderungen gemeistert wurden, nennt sich „light sculpting“. Dabei werden ultrakurze Laserpulse im Femtosekunden-Bereich (fs: ein Millionstel einer Milliardstel Sekunde) in ihre Farbanteile zerlegt. „Indem wir die Zerstreuung der Farben kontrollieren, können wir den Bereich , in dem das Licht fokussiert wird, modellieren. Bei unseren Experimenten ist er kugelförmig und etwas kleiner als die Nervenzellen selbst. Mit diesem Fokus scannen wir das Gehirn in hoher Geschwindigkeit und können so die Aktivität tausender Neuronen in Echtzeit und in drei Dimensionen beobachten“, beschreibt Prevedel die Methode.

Mittels light sculpting beobachtete das Team um Alipasha Vaziri die Gehirnaktivität von Mäusen, die sich frei auf einer rotierenden Scheibe bewegen konnten. Die Forscher konzentrierten sich auf jenen Bereich der Gehirnrinde, der für die Planung von Bewegung zuständig ist. Der untersuchte Gehirnausschnitt entsprach einer Gewebesäule von einem achtel Kubikmillimeter Größe und damit dem Großteil einer sogenannten ‚kortikalen Säule’. In Zukunft planen die Forscher, die Dynamik und Aktivität sämtlicher Zellen innerhalb einer solchen kortikalen Säule zu erfassen und zu analysieren, um zu verstehen, wie das Gehirn arbeitet.

„Der Erkenntnisgewinn in den Neurowissenschaften ist - wie in anderen Bereichen der Biologie - durch die verfügbaren Technologien begrenzt“, sagt Alipasha Vaziri. „Indem wir zunehmend schnellere, hochauflösende bildgebende Verfahren entwickeln, hoffen wir, dass wir den Horizont für die Gehirnforschung beträchtlich erweitern können.“

Originalveröffentlichung

Prevedel et al.; "Fast volumetric calcium imaging across multiple cortical layers using sculpted light"; Nature Methods; Advance Online Publication, 31 October 2016

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