Polypharmazie: Hausärzte warnen vor zunehmendem Medikamenten-Chaos

30.01.2013 - Deutschland

Quantität ist nicht Qualität, im Gegenteil: Patienten, die ungesteuert eine Vielzahl von Ärzten aufsuchen, laufen Gefahr, zu viele Medikamente einzunehmen – mit möglicherweise dramatischen Folgen. Die Wirkungen der Medikamente können sich aufheben oder verändern. Gerade ältere Menschen haben ein hohes Risiko an Polypharmazie,  belegt eine aktuelle Studie der norddeutschen Krankenkasse hkk.

„Die Ergebnisse der Studie zur Polypharmazie sind erschreckend, aber nicht überraschend“,  erklärt Dr. Dieter Geis. Der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes (BHÄV) befürchtet, dass die Gefahr für die Patienten nach dem Wegfall der Praxisgebühr in Zukunft sogar weiter ansteigen wird.

Dr. Geis: „Der Hausarzt muss die zentrale Stelle sein, bei der alle medizinischen Informationen über den Patienten zusammenlaufen, damit die Therapien in Absprache mit den Fachkollegen gezielt koordiniert und eine für den Patienten gefährdende Polypharmazie vermieden werden kann. Durch die undifferenzierte Streichung der Praxisgebühr werden Patienten jetzt sogar noch ermutigt, unkoordiniert Fachärzte aufzusuchen, ohne dass der eine Arzt vom anderen etwas erfährt oder ausreichend über eine bereits laufende Medikation Kenntnis hat.“

Die besonders zeitaufwändige Überprüfung der gesamten Medikation eines Patienten durch den Hausarzt muss eigens honoriert werden. Dies ist aktuell nur im geschiedsten Hausarztvertrag des BHÄV mit der AOK Bayern geschehen und wird von teilnehmenden Versicherten und Ärzten positiv angenommen. „Der BHÄV bietet anderen Krankenkassen natürlich gerne eine Erweiterung der bestehenden Verträge um eine solche, der Patientensicherheit dienenden Leistung an“, unterstreicht Dr. Jürgen Büttner, Vertrags- und Abrechnungsexperte des BHÄV. Nur im Hausarztvertrag ist für ein entsprechendes ausführliches Gespräch des Hausarztes mit dem betroffenen Patienten oder den betreuenden Personen eine Leistungsposition vorgesehen.

Dazu gehört natürlich aber auch die grundlegende und langfristige Sicherung der Hausarztverträge über das Jahr 2014 hinaus. Notwendig dafür sei es, umgehend die Einsparklausel im §73b Absatz 5a SGB V ersatzlos zu streichen. „Geschieht dies nicht, sind alle Hausarztverträge, die nach 2014 geschlossen werden, ihr Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden. Uns wird es dann kaum noch gelingen, junge Mediziner zu finden, die sich als Hausärzte niederlassen“, argumentiert Dr. Geis.

Gerade mit Blick auf die immer größer werdenden Versorgungslücken sei aber auch die langfristige Sicherung der Hausarztverträge nur ein erster Schritt -  wenn auch ein wichtiger.

Dr. Geis: „Wir müssen unser Gesundheitssystem zu einem hausarztzentrierten Primärarztsystem weiterentwickeln. Damit geben wir nicht nur jungen Medizinern endlich eine wirtschaftlich-sinnvolle Perspektive sich als Hausarzt niederzulassen, sondern davon profitieren auch die Patienten. Nur wir Hausärzte kennen unsere Patienten oft seit Jahren oder gar Jahrzehnten. Und nur wir Hausärzte haben immer den ganzen Menschen im Blick.“

 

Wer sich als Patient in einen Hausarztvertrag einschreibt, profitiere schon jetzt von der Steuerungs- und Koordinierungsfunktion des Hausarztes. „Teilnehmer an Hausarztverträgen verpflichten sich, bei gesundheitlichen Problemen immer zuerst zu dem von ihnen gewählten Hausarzt zu gehen. Ausgenommen von dieser Regelung sind Gynäkologen, Kinder- und Augenärzte. So ist sichergestellt, dass der Hausarzt von allen anderen mitbehandelnden Fachärzten einen Bericht über Befund, Therapie und Medikation erhält“, führt Dr. Geis aus. „Und bei Bedarf hilft der Hausarzt auch, einen Termin beim Facharzt zu vereinbaren.“

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