Schlechte Zahlen – gute Politik?

28.09.2012 - Deutschland

Wie verlässlich sind internationale Preisvergleiche und Einsparpotenzialrechnungen als Basis für Spar-Gesetze tatsächlich? In einer vom BPI in Auftrag gegebenen Untersuchung verschiedener Berechnungen kommen die Wissenschaftler Prof. Dieter Cassel, Univ. Duisburg, und Prof. Volker Ulrich, Univ. Bayreuth, zum Ergebnis, dass alleine die Komplexität der Ermittlung von Einsparpotenzialen vor allem im internationalen Kontext deren scheinbar exakte Bezifferung praktisch unmöglich macht. Dadurch würden solche Berechnungen eher in die Irre führen und könnten keinen verlässlichen Maßstab für rationales Handeln im Gesundheitswesen darstellen. Wenn Einsparberechnungen vorgelegt werden, müssten diese transparent sein, ihre Annahmen offen legen und ihre Grenzen diskutieren.

Dies sei z. B. beim Arzneiverordnungs-Report (AVR) nicht ausreichend gegeben. „Der BPI hat die Berechnungen des AVR zu den Ländervergleichen mit Schweden und Großbritannien aus den Jahren 2010 und 2011 nachvollzogen. Grundsätzlicher Fehler des AVR war, dass Apothekenverkaufspreise verglichen und daraus Schlussfolgerungen zu Einsparpotenzialen bei den pharmazeutischen Unternehmen nahegelegt wurden. Zudem wurden die in Deutschland geltenden Zwangsrabatte einfach außer Acht gelassen. In beiden Ländervergleichen halten die scheinbar exakt ermittelten und angeblich von den Herstellern verursachten Mehrkosten einer Überprüfung nicht stand. Wenn mit solchen Zahlen Politik gemacht wird, kann das nicht gut gehen“, erklärte Dr. Martin Zentgraf, Vorstandsmitglied des BPI.

Für Schweden hatte der AVR errechnet, dass die Apothekenverkaufspreise der 50 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel in Deutschland im Durchschnitt um 48 Prozent über den schwedischen Apothekenverkaufspreisen lägen. Wenn aber die bei den Herstellern verbleibenden Einnahmen zugrunde gelegt wurden, lag der Unterschied nur noch bei 4,5 Prozent. 2011 war Deutschland auf dieser Basis sogar um zwei Prozent günstiger als Schweden.

Für Großbritannien, Vergleichsland im Jahr 2011, stellt sich die Situation ähnlich dar. Besonders ins Gewicht fiel hier, dass von den Autoren des AVR die Wechselkursentwicklung zwischen Euro und Pfund außer Acht gelassen wurde. Allein durch die Wechselkursveränderung zwischen 2000 und 2009 sind bei Import eines Arzneimittels Preisverschiebungen von 41Prozent erklärbar, ohne dass sich der Preis dieses Arzneimittels in Deutschland oder Großbritannien verändert hätte.

Das vom AVR ermittelte Einsparpotenzial aus diesem Ländervergleich ist daher weitgehend fiktiv und der Unterschied beträgt bei realistischen Annahmen nicht wie vom AVR angegeben 65 Prozent. Im Gegenteil, es verschwindet. Denn wenn man Wechselkursentwicklung und die Abgabemengen berücksichtigt, ergibt sich sogar ein englisches Einsparpotenzial. Diese Berechnung zeigt, dass das Einsparpotenzial dramatisch überschätzt wird. Eine exakte Berechnung ist auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht möglich und sollte daher unterlassen werden.

Wer die Zahlen des AVR genauer betrachtet, kann nur an die Politik appellieren, dass Entscheidungen evidenzbasiert sein müssen. Auch mit wissenschaftlichem Anspruch vorgetragene Auswertungen bedürfen einer kritischen Würdigung. Denn von derart fragwürdigen Grundlagen beeinflusste politische Entscheidungen können Unternehmen in ihrer Wirtschaftlichkeit bedrohen, Arbeitsplätze gefährden und gleichzeitig die Versorgungsqualität und -sicherheit in Deutschland einschränken. „Den AVR fordern wir auf, seine Daten, Annahmen und Berechnungsgrundlagen transparent zu machen“, so Zentgraf.

Faktoren, die Einsparpotenziale erheblich verzerren:

  • Verwendung unterschiedlicher Berechnungsmethoden, die durch realitätsferne Vereinfachungen Einsparpotenziale z.T. systematisch überschätzen.
  • Einsparpotenzial für 2009 (S) bzw. 2010 (GB) wird auf Preisbasis 2010 (S) bzw. 2011 (GB) ermittelt, also werden unterschiedliche Jahre verglichen.
  • Die auf die verschiedenen Marktteilnehmer (Hersteller, Apotheker, Großhändler) entfallenden Anteile werden nicht differenziert.
  • Die durch Preismoratorium und gesetzliche Abschläge verursachten Einnahmeminderungen von Herstellern und Apothekern werden nicht berücksichtigt.
  • Die unterschiedlichen Regulierungssysteme der Länder im Vergleich zu Deutschland werden nicht berücksichtigt.
  • Die erheblichen Einflüsse der Wechselkursentwicklung werden nicht berücksichtigt.
  • Kostenminderungen durch Rabattverträge werden nicht berücksichtigt.
  • Die Marktdynamik wird ignoriert – würden Arzneimittel wie unterstellt ausgetausc

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