Wie erkennt unser Gehirn die Zeit?

12.07.2018 - Deutschland

Entscheidungen, die auf präziser zeitlicher Steuerung (Timing) beruhen, sind für den Organismus überlebenswichtig. Die Folgen eingeschränkten Timings werden unter anderem bei der Parkinson-Krankheit sichtbar. Zwei Forscher aus Frankreich und den USA berichteten auf dem FENS-Forum für Neurowissenschaften in Berlin über ihre Untersuchungen der Schaltkreise im Gehirn, die das Timing und die Koordination von Bewegungen ermöglichen. Die Studien könnten Folgen für neue Therapien bei Parkinson und verwandten Krankheiten haben.

Weltweit sind mehr als zehn Millionen Menschen vom Morbus Parkinson betroffen: Sie leiden unter anderem an Symptomen wie zitternden Händen, verlangsamten Bewegungen, starren Muskeln und Beeinträchtigungen beim Sprechen.

Die Studien von Dr. Nandakumar Narayanan von der University of Iowa in den USA zeigen, wie sich das Timing im Gehirn durch Medikamente verändern lässt, die einen wichtigen Botenstoff, den Neurotransmitter Dopamin, beeinflussen. Bei Parkinson ist, wie Forscher seit langem wissen, der Dopaminspiegel reduziert, bei Schizophrenie hingegen erhöht; bei beiden Erkrankungen scheint das Timing in unserem Gehirn schief zu laufen.

Narayanan hat bei Untersuchungen an Ratten und menschlichen Freiwilligen herausgefunden, dass Rezeptoren (Andockstellen) für Dopamin im Frontallappen der Großhirnrinde entscheidend für die zeitliche Steuerung sind; diese Funktion ist quer durch Tierarten evolutionär „hoch konserviert“, also überlebenswichtig. Bei Parkinson- und Schizophrenie-Patienten sind die Rezeptoren jedoch abgeschwächt, ebenso wie in speziell gezüchteten Versuchstieren („Rattenmodelle“). „Wir können Dopamin-Rezeptoren in verschiedenen Hirnregionen so stimulieren“, erklärte Narayanan, „dass wir das für Parkinson typische Bewegungsdefizit ausgleichen und den zeitlichen Bewegungsablauf bei Patienten mit dieser Krankheit verbessern können. Diese Daten öffnen ein Fenster zum Verständnis der zeitlichen Verarbeitung durch neuronale Schaltkreise im Gehirn, und sie könnten für neue Therapien bedeutsam sein.“

Tiefer in die physikalische Natur dieser Hirnschaltkreise dringt Dr. Lucille Tallot ein. Sie untersucht im Labor von Dr. Valérie Doyère am Paris-Saclay Institute of Neuroscience in Frankreich, wie die zeitliche Steuerung im Gehirn entsteht. „Unter vielen Bedingungen, etwa bei Parkinson oder Schizophrenie, kann dieses Signal misslingen“, erklärte Tallot. „Mich interessieren die Grundstrukturen, innerhalb derer das Timing vom Gehirn gesteuert wird.“

Ihre Versuche verfolgen Veränderungen im Gehirn von Ratten, die beim Informationsaustausch – der Konnektivität – zwischen den drei Hirnarealen Amygdala, Striatum und Frontallappen auftreten. Sie konzentriert sich dabei auf die neuronalen Spuren spezifischer Reize, welche die Tiere entweder unangenehm oder lohnend finden. Am FENS stellte Tallot eine Reihe von Experimenten vor, die zeigen, wie die drei Gehirnareale interagieren, während sie die Zeitspanne zwischen den Reizen registrieren. Tallot folgert daraus, dass dieses Netzwerk eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie das Gehirn die Zeit verfolgt und in der Lage ist, bestimmte Ereignisse zu erfassen und darauf zu reagieren.

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