Das Bild der
Pharmaindustrie der letzten zehn Jahre ist geprägt durch eine Flut an
Fusionen und Übernahmen. Diese Entwicklung hat nun in der ersten Jahreshälfte 2009 nochmals neue Dimensionen angenommen, da die Konsolidierung durch vier Mega-Deals erheblich vorangetrieben wurde. Dass dieser jüngste Trend schnell mit der allgemeinen Wirtschaftskrise und der damit einhergehenden Kreditknappheit in Verbindung gebracht wird, liegt auf der Hand. Und doch ist dies sicherlich nicht der einzige Faktor, der hier eine Rolle spielt.
Gerade auf die Pharmariesen hat sich der
Druck in den letzten Jahren immer weiter verstärkt, und ihr Wert ist zusehends gesunken. Dafür ist nicht zuletzt der traditionelle Kampf an unterschiedlichen Fronten verantwortlich, den die Unternehmen führen müssen und der häufig nicht von Erfolg gekrönt ist. Dabei geht es um den auslaufenden
Patentschutz für Blockbuster-
Medikamente, regulatorische Hürden, den Wettbewerb mit
Generika-Herstellern, ineffiziente Ressourcennutzung oder austrocknende Produkt-Pipelines infolge geringer F&E-Aktivitäten, um nur einige Problembereiche zu nennen. Vor diesem Hintergrund war die jüngste Wirtschaftskrise dann quasi nur noch der letzte Auslöser für
Fusionen und Übernahmen im großen Stil.
"Attraktivste Übernahmeziele sind nach wie vor Pharmafirmen mit aussichtsreichen Wirkstoffentwicklungspipelines und geringem Risiko für auslaufende
Patente," so lautet die Einschätzung von Senior
Research Analyst S. Priyan von
Frost & Sullivan. Diese beiden Kriterien spielten beispielsweise die Hauptrolle bei der Übernahme von Schering-Plough durch
Merck & Co.: Schering-Plough, deren Portfolio hauptsächlich aus biologischen Präparaten besteht, verfügt derzeit über 18 Phase-III-
Medikamente, und ihre wichtigsten
Patente laufen noch lange nicht aus.
Die wahre
Motivation für derartige Fusionen bleibt jedoch unklar, da sich damit in der Vergangenheit keine substanziellen Steigerungen der F&E-Aktivitäten erzielen ließen. Zudem ist abzusehen, dass solche Mega-Deals weitere M&As nach sich ziehen werden, da einige der Nicht-Kernbereiche der akquirierten Firmen wieder ausgegliedert werden müssen. So veräußerte beispielsweise Sanofi nach dem Merger mit
Aventis die Rechte am Krebsmittel Campto an
Pfizer und die Rechte an den Thrombosemitteln Arixtra und Fraxiparine an
GlaxoSmithKline.
Eine deutliche Konsequenz dieser raschen Konsolidierung in der
Pharmaindustrie ist die höhere Verhandlungsmacht der Großunternehmen gegenüber den Versicherungen und Regierungen. Folglich ist damit zu rechnen, dass jeder neue Schritt in diese Richtung zu einer zusätzlichen Stärkung des Pharmakartells und damit zu einer weiteren Entmachtung der Patienten führen dürfte. Ranjith Gopinathan geht davon aus, dass die Pharmariesen momentan ihre Finanzkraft für weitere Superdeals überprüfen, wobei weitere Aktivitäten vor allem von
BMS,
AstraZeneca, Sanofi-
Aventis,
GSK,
Novartis und J&J ausgehen dürften.
Modell biologische Blockbuster
Neben dem starken Konsolidierungstrend zeichnet sich in der Branche noch eine weitere Entwicklung ab: die zunehmende Fokussierung der Pharmagiganten auf das Thema Biotech. "Über den Wandel des Ertragsmodells dieser Konzerne und der Verlagerung weg vom gängigen Blockbuster-Modell in Richtung der so genannten "niche busters", also auf kleine Zielmärkte ausgerichtete Medikamente, ist schon viel geschrieben worden" so Gopinathan. "Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass es gerade das Blockbuster-Modell war, das der Pharmabranche zu ihrer Größe verholfen hat. So haben die Blockbuster in der Vergangenheit sowohl zum Umsatz als auch zum Reingewinn einen signifikanten Beitrag geleistet, und es ist unwahrscheinlich, dass die Branche dieses erfolgreiche Konzept in naher Zukunft aufgeben wird." Viel wahrscheinlicher ist hier eine Schwerpunktverlagerung von kleinmolekularen auf biologische Blockbuster. Medikamente wie
Rituxan,
Avastin oder
Enbrel haben das Potenzial biologischer Blockbuster bereits unter Beweis gestellt. In großen Wachstumsmärkten wie
Onkologie,
Autoimmunerkrankungen oder ZNS hat man die immensen Chancen für
Biologika bereits erkannt, was zu einer Intensivierung der F&E-Aktivitäten in diesen Bereichen geführt hat. Die Herstellung und Kommerzialisierung von
Biosimilars (bioähnlichen Produkten) ist im Vergleich zu kleinmolekularen generischen Medikamenten relativ aufwändig, wodurch sich die Bedrohung durch
Generika verringert. Weitere wichtige Argumente für den Zusammenschluss mit Biologika-Herstellern sind der Mehrwert, der sich aus den neuartigen Technologien und dem Pool an wissenschaftlichen Fachkräften ergibt, sowie das interessante Produktportfolio dieser Firmen. In jüngster Vergangenheit waren in der Pharma-Biotech-Arena M&A-Aktivitäten unterschiedlichen Umfangs zu beobachten. Aktuelle Beispiele für das große Interesse der Pharma-Akteure sind die Übernahme von
MedImmune durch
AstraZeneca, von Organon Biosciences durch Schering-Plough, von Scios durch
Johnson & Johnson, von
Serenex & CovX durch
Pfizer, von Domantis durch
GSK, von NovaCardia,
Abmaxis,
GlycoFi &
Sirna Therapeutics durch
Merck & Co., von
Mirus Bio Corporation durch
Roche sowie der Kauf der restlichen 44 Prozent der Roche-Tochter Genentech durch den Mutterkonzern.
Parallel zum großen Schwung an neuen Fusionen und Übernahmen im Biotech-Sektor werden bereits bestehende Partnerschaften und Allianzen mit Biotech-Firmen durch direkte Akquisitionen weiter verfestigt. So hatte beispielsweise Merck & Co. vor der Übernahme von GlycoFi bereits eine Partnerschaft etabliert, und
Genzyme hatte vor der Akquisition durch Bioenvision gemeinsam mit diesem Unternehmen ein Krebsmedikament entwickelt. Ebenso verfügten AstraZeneca und Pfizer im Vorfeld der jeweiligen Übernahmen über
Lizenzvereinbarungen mit Cambridge Antibody bzw. mit Meridica.
"Der Vorteil solcher Umwandlungen von Allianzen in Akquisitionen ist die kulturelle Kompatibilität," meint Gopinathan. "Und die beim Käufer bereits vorhandenen Kenntnisse über Produkte und Strukturen beim Übernahmekandidaten bilden eine gute Grundlage für die künftige Zusammenarbeit." Daraus lässt sich schließen, dass Biotech-Unternehmen mit bestehenden Allianzen und
Lizenzvereinbarungen willkommene Akquisitionsziele sind, wobei vor allem letzteres Kriterium in Zeiten knapper Kredite immer mehr an Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig hat die Kreditklemme bei vielen Biotech-Firmen zu einem Wertverfall von rund 30 Prozent geführt, was gerade kleine und mittelständische Unternehmen zum leichten Übernahmeziel macht, da diese zudem unter Schuldenlasten und einem Mangel an Neuemissionen leiden.
"Neben weiteren Fusionen und Übernahmen im Pharma-Biotech-Bereich ist in den nächsten Jahren auch mit einer Vielzahl an M&A-Deals zwischen einzelnen Biotech-Unternehmen zu rechnen" sagt Gopinathan weiter. "Das liegt vor allem am potenziellen Markteintritt von Biogenerika/
Biosimilars, aber auch an der Notwendigkeit großer Biotech-Firmen, durch neue Produkte und den Ausbau ihrer Produktlinien ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten." So verschaffte sich beispielsweise
Genzyme durch die Übernahme von
AnorMED Zugang zum Stammzellentransplantationsprodukt Mozobil.
Amgen erweiterte durch die Akquisition von Ilypsa &
Alantos Pharmaceuticals ihr Portfolio um die Bereiche
Nierenerkrankungen,
Diabetes und
Entzündungskrankheiten.
GILEAD Sciences übernahm Myogen, um auf deren
Blutdrucksenker zugreifen zu können, und auch die jüngste Akquisition von
CV Therapeutics durch Gilead Sciences für 1,40 Milliarden US-Dollar macht das große Interesse großer Biotech-Firmen an Mega-M&As deutlich. Und dennoch gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Biotech-Riesen wie Gilead Sciences, Biogen-Idec,
Celgene oder Genzyme wiederum von Pharmagiganten geschluckt werden.
Nachhaltiges Geschäftsmodell für Biotech
Angesichts des fortschreitenden Trends zur Übernahme von Biotech-Firmen, die über Produkte im Früh- oder Spätstadium der klinischen Entwicklung verfügen, scheinen für kleinere und mittlere Biotech-Unternehmen kaum Möglichkeiten zu bestehen, sich nach dem Vorbild von
Amgen oder Biogen-Idec zu voll integrierten Playern zu entwickeln. Außerdem gilt die Akquisition bei Risikokapitalgebern, über die sich die meisten Start-ups in der Biotech-Branche finanzieren, als rentable Exit-Strategie. Ironischerweise gelingt dem Management vieler Biotech-Unternehmen jedoch kein profitabler Exit. Folglich ist es gerade für mittelständische Biotech-Firmen unerlässlich, dass ihr Management über das entsprechende Know-how für einen rechtzeitigen Ausstieg verfügt. So konnte beispielsweise Immunex aufgrund von Schwierigkeiten in der
Produktion kein Kapital aus seinem Lead-Produkt
Enbrel schlagen und wurde schließlich an Amgen verkauft, die über das erforderliche Produktions-Know-how verfügte. Ähnlich gelang es
ICOS nicht, den Umsatz mit
Cialis zu steigern, und musste dafür auf die
Marketing-Erfahrung von
Eli Lilly zurückgreifen. Aktuelle Beispiele für erfolgreiche Exits sind
MedImmune und CV Therapeutics, die für 15,6 Milliarden US-Dollar von AstraZeneca bzw. für 1,4 Milliarden US-Dollar von Gilead Sciences übernommen wurden.
Möglicherweise sollte das Management kleiner Biotech-Unternehmen also den Geschäftsstrategien von MedImmune und CV Therapeutics folgen und weniger denen von Amgen oder Genzyme. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass es aufgrund ihrer flexiblen und von unternehmerischem Denken geprägten Arbeitskultur geraden den kleinen, forschungsbasierten Biotech-Firmen gelingt, wissenschaftliche Top-Talente zu gewinnen. Daher würde jeder Versuch, solche Mitarbeiter quasi gewaltsam in ein rein gewinnorientiertes multinationales Pharmaunternehmen zu integrieren, zu ihrer Demoralisierung und letztlich Demotivierung führen. Stattdessen sollten Pharmakonzerne einmal akquirierte Biotech-Firmen als unabhängige Geschäftseinheiten mit Schwerpunkt Forschung weiterführen und lediglich für die Vermarktung der resultierenden Produkte zuständig zeichnen.
Über die aufgezeigten Trends hinaus ist mit einer zunehmenden M&A-Aktivität zwischen vertikalen Märkten zu rechnen. So dürfte zum Beispiel die Verlagerung auf
personalisierte Medizin dazu führen, dass Diagnostikunternehmen ihr Augenmerkt verstärkt auf molekulare
Biomarker und
Genomik richten.
Gopinathans abschließendes Fazit: "Die Pharmaindustrie sollte die Gelegenheit nutzen, weitere kleinere und mittelständische Biotech-Firmen zu übernehmen, statt sich auf Mega-Deals mit großer Außenwirkung zu konzentrieren. Davon würde nicht nur die angeschlagene Biotech-Branche profitieren, sondern letztlich auch der Pharmamarkt."