Wenn der Zelle die nötige Energie fehlt

Gendefekt löst schwere kindliche Gehirnerkrankung aus

24.06.2009 - Deutschland

Eine besonders schwer verlaufende Variante der kindlichen Leukenzephalopathie wird durch einen genetischen Defekt der Mitochondrien verursacht. Das hat ein Team um Professor Massimo Zeviani vom Istituto Nazionale Neurologico in Mailand gezeigt, dem auch Ärzte und Wissenschaftler der LMU und des Helmholtz Zentrum München angehören. Wie in "Nature Genetics" berichtet, wird diese mitochondriale Form der Leukenzephalopathie durch einen Defekt in einem Gen ausgelöst, das die Bauanleitung für ein bislang unbekanntes Protein enthält. Die Funktion dieses Moleküls: Es ist für den Zusammenbau und die Funktion der verschiedenen Untereinheiten des Enzyms Succinat-Dehydrogenase, kurz SDH, verantwortlich. Die SDH selbst ist maßgeblich an der Energieerzeugung in den Zellen höherer Organismen zuständig.

Bildgebende Verfahren der medizinischen Diagnostik zeigen in der weißen Substanz des Gehirns der Patienten ausgeprägte Veränderungen. "Seit ein paar Jahren ist bekannt, dass sich in den Gehirnen der Patienten Succinat, also das Salz der Bernsteinsäure, abnorm anreichert", berichtet Professor Thomas Klopstock, einer der beteiligten LMU-Wissenschaftler. "Ursache hierfür ist eine verminderte Aktivität des Enzyms Succinat-Dehydrogenase, kurz SDH, was sich in verschiedenen Geweben dieser Patienten nachweisen lässt."

Die Suche nach Gendefekten in den vier Untereinheiten der SDH verlief allerdings erfolglos. Andere Gene, die einen SDH-Defekt verursachen könnten, waren nicht bekannt. Eine vergleichende Analyse des Erbguts einer türkischstämmigen deutschen Familie und einer italienischen Familie, denen mehrere Betroffene angehören, brachte dann aber den Durchbruch. "Zunächst konnte der Genort und dann auch das für die Erkrankung verantwortliche Gen identifiziert werden", sagt Klopstock. "Das bislang unbekannte Gen kodiert für einen Assemblierungsfaktor der SDH, er vermittelt also die korrekte Zusammensetzung und Funktion der SDH-Untereinheiten."

Seit längerem wurde vermutet, dass ein derartiger Assemblierungsfaktor existieren müsse. Der Nachweis war bis jetzt aber in keinem Organismus gelungen. "Das Ergebnis zeigt also auch, dass die molekulare Analyse seltener Krankheitsbilder zur Beantwortung grundlegender biologischer Fragestellungen beitragen kann", meint Klopstock. "Für die Patienten werden sich unsere Resultate zunächst nicht auswirken, weil ein Gendefekt nicht ohne Weiteres behoben werden kann. Allerdings ist der erste Schritt hin zu einer möglichen Therapie immer die Entschlüsselung der Ursache einer Krankheit."

Originalveröffentlichung: Daniele Ghezzi, Paola Goffrini, Graziell Uziel, Rita Horvath, Thomas Klopstock, Hanns Lochmüller, Pio D'Adamo, Paolo Gasparini, Tim M. Strom, Holger Prokisch, Federica Invernizzi, Ileana Ferrero, Massimo Zeviani; "SDHAF1, encoding a LYR complex-II specific assembly factor, is mutated in SDH-defective infantile leukoencephalopathy", Nature Genetics, Juni 2009.

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