Energie zu Vitamin: Mikroben produzieren Folsäure aus einfachen Grundzutaten

Biotechnologisches Team der Universität Tübingen erhält wertvolles Nebenprodukt bei der Proteinherstellung

16.09.2024
Lisa Marie Schmitz

Zweistufiges Bioreaktor-System, in dem mit Proteinen und dem Vitamin B9 angereicherte Hefe produziert wird.

Man nehme Kohlendioxid, Wasserstoff und Sauerstoff sowie Strom aus erneuerbaren Quellen – mehr brauchen ein Bakterium und die Bäckerhefe kaum, um in einem ausgeklügelten Bioreaktor-System im Labor Proteine für die menschliche Ernährung und das lebenswichtige Vitamin B9 herzustellen. Dieses Ergebnis erzielte ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Lars Angenent aus der Umweltbiotechnologie der Universität Tübingen bei der Weiterentwicklung seines Power-to-Protein-Systems. Das neue Proteinprodukt mit Vitamin B9, der Folsäure, kann als vegane Grundlage für Fleischersatz dienen, mit dem langfristig eine wachsende Weltbevölkerung klimaverträglich ernährt werden könnte. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Trends in Biotechnology veröffentlicht.

Zwar machen viele Mikroben optisch einen eher unspektakulären Eindruck, doch können sie eine riesige Vielfalt an Stoffen herstellen, was sich der Mensch zum Beispiel bei der Herstellung von Bier, Wein und Käse zunutze macht. „Wir hatten zuvor eine Power-to-Protein-Technologie entwickelt: Dabei kommen zwei verschiedene Mikroben nacheinander zum Einsatz: Ein Clostridium-Bakterium reduzierte Kohlendioxid mit Wasserstoff unter Luftabschluss zu Acetat, das die Bäckerhefe, ein Pilz, anschließend unter Luftzufuhr zu Proteinen umsetzte“, erklärt Angenent. Dieses erste System funktionierte allerdings nur, wenn den Mikroben bestimmte Vitamine wie B9 zur Verfügung gestellt wurden. „Vom Protein allein kann sich der Mensch nicht ernähren“, sagt Angenent. „Daher wollten wir Vitamin B9 mitproduzieren.“ Ziel sei es, nicht mehr Vitamine in den Prozess einzuspeisen, als man herausbekommt.

Genügsameres Bakterium

Gemeinsam mit seinem Team tauschte Angenent das Clostridium-Bakterium der ersten Stufe gegen das Bakterium Thermoanaerobacter kivui aus, das genügsamer ist und die bei der Acetatherstellung benötigte Folsäure selbst bilden kann. Die Bäckerhefe produzierte im zweiten Schritt solch große Mengen an Folsäure, dass sie genutzt werden kann. Dass die Bäckerhefe Folsäure aus Zucker herstellen kann, war bekannt. „Das tut sie also auch mit etwa der gleichen Menge Acetat als Ausgangsstoff, das zeigen unsere Experimente. Da wir kein Vitamin B9 mehr zusetzen, sind wir sicher, dass es im Prozess produziert wird“, sagt der Forscher. Etwa sechs Gramm der produzierten und getrockneten Hefe würden einem Menschen als tägliche Vitamin B9-Dosis reichen. Die Vitaminmessungen in den Experimenten übernahm ein Team unter der Leitung von Professor Michael Rychlik von der TU München, einer der Co-Autoren der Studie.

„Bei unserem Produkt handelt es sich noch nicht um ein fertiges Lebensmittel, aber die Nahrungsmittelindustrie kann es dazu weiterentwickeln“, sagt Angenent. Zunächst müssten vor dem Verzehr Stoffe aus der Hefe entfernt werden, die Gicht auslösen können. Außerdem muss das kleine Bioreaktor-System aus dem Labor in Anlagen eines viel größeren Maßstabs umgesetzt werden, was neue Probleme aufwerfen kann. Untersuchungen zur Lebensmittelsicherheit müssten folgen wie auch technische und wirtschaftliche Analysen zum Absatzmarkt solcher Produkte.

In Kreisläufen denken

Doch wie weit will Angenent mit seiner Vision beim Nahrungsmittelersatz gehen? Sollen wir uns langfristig von synthetischen Pillen und Pasten ernähren? „Mir geht es vor allem um die Reduzierung des Fleischkonsums“, sagt der Forscher. „Ich glaube, dass sich die Verbraucher an neue Produkte gewöhnen werden. Das geht auch über den Preis.“ So könne man den Anbau von Viehfutter stark reduzieren wie auch die klimaschädlichen Emissionen aus der Viehhaltung. Insgesamt werde aber sogar mehr Landwirtschaft gebraucht als bisher, ein möglichst ressourcenschonender Pflanzenanbau müsse ausgeweitet werden. Außerdem sollten die Landwirtinnen und Landwirte künftig für eine neue Verantwortlichkeit auch finanziell entlohnt werden: den Schutz der Böden und der Natur.

Angenent denkt in Kreisläufen und großen Zusammenhängen: „Der wachsenden Weltbevölkerung droht Unterernährung vor allem in Ländern, die unter Dürren leiden und deren Böden zu wenig Nährstoffe enthalten. Da könnten solche Ersatzprodukte wie die von uns erzeugten die Ernährungslage verbessern“, sagt er. „Dass wir in unserem Bioreaktor-System mit einer hohen Rate gleichzeitig Proteine und Vitamine für nachhaltige vegetarische und vegane Produkte ohne nennenswerten Flächenverbrauch herstellen können, ist ein großer Erfolg auf diesem Weg.“

Originalveröffentlichung

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