Wer schneller wächst, ist früher tot

Wie die Wachstumsrate die Fitness von Bakterien beeinflusst: Antibiotika-Therapie mit Zuckerbrot und Peitsche?

10.08.2020 - Deutschland

Bakterien sind Überlebenskünstler: Wenn sie Nahrung bekommen, vermehren sie sich rasant, doch sie können auch Hungerphasen überdauern. Allzu schnelles Wachstum reduziert jedoch ihre Überlebensfähigkeit, das zeigen Untersuchungen eines Forschungsteams der Technischen Universität München (TUM) an Kolibakterien. Die Ergebnisse könnten dabei helfen, die Wirksamkeit von Antibiotika zu steigern.

Andreas Heddergott / TUM

Bakterienkultur

„Die Fitness von Bakterien ist komplexer als gedacht“, erklärt Ulrich Gerland, Professor für Theorie komplexer Biosysteme an der TU München. Der Physiker untersucht seit mehreren Jahren die Überlebensstrategien von Kolibakterien.

Die Einzeller mit dem lateinischen Namen Escherichia coli, die im Dickdarm von Säugetieren die Verdauung unterstützen, sind ein beliebter Modell-Organismus. Mit ihrer Hilfe lässt sich untersuchen, wie es Lebewesen gelingt, sich an wechselnde Umweltbedingungen anzupassen.

Überleben in schlechten Zeiten

„Bisher wusste man, dass die biologische Fitness von zwei Dingen anhängt: der Wachstumsrate, wenn Nahrung zur Verfügung steht, sowie der Überlebensfähigkeit in Zeiten von Nährstoffmangel“, erläutert der Wissenschaftler. „Ungeklärt war jedoch, wie diese beiden Faktoren zusammenhängen.“

Zusammen mit seinem Team hat Gerland nun erstmals systematisch untersucht, inwieweit schnelles oder langsames Wachstum die Überlebensfähigkeit von Kolibakterien beeinflusst: „Dabei hat sich gezeigt, dass Veränderungen der Wachstumsbedingungen direkte Auswirkungen haben auf die Sterberaten. Diese folgen einem einfachen Gesetz: Die am besten ernährten und am schnellsten wachsenden Bakterien, sterben auch als erste, wenn man ihnen die Nahrung entzieht.“

Dicke Bakterien – schlechte Fitness

Üppige Ernährung ist also schlecht für die Fitness von Bakterien. Doch warum? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, führten die TUM-Forscher verschiedene Experimente durch: Zunächst wurden Kulturen von Kolibakterien mit unterschiedlich gehaltvollen Nährlösungen versorgt.

Im zweiten Schritt setzte man die Einzeller auf Null-Diät. Während der gesamten Zeit untersuchten die Wissenschaftler, ob und wie schnell sich die Zellen vermehrten beziehungsweise wie lange sie überlebten.

Kampf ums Überleben

Die Untersuchungen zeigten, dass die Bakterien, unabhängig davon wie gut oder schlecht sie zuvor ernährt wurden, ihre Reproduktion stoppen, wenn ihnen die Nahrung entzogen wird. Der Organismus kämpft in dieser „Erhaltungsphase“ ums nackte Überleben: Alle verfügbaren Energiequellen – beispielsweise auch die Zellreste bereits abgestorbener Artgenossen – werden genutzt, um den Stoffwechsel aufrecht zu erhalten.

In dieser Extremsituation sterben binnen weniger Tage viele Zellen den Hungertod. Besonders hoch ist die Sterberate aber unter den schnell gewachsenen Kolibakterien. „Sie sind auf schnelles Wachstum eingestellt und gehen verschwenderisch mit den Energie-Ressourcen um. Das wird ihnen während der Hungerphase zum Verhängnis“, erläutert Gerland.

Tatsächlich haben die zuvor reichlich genährten Bakterien auch einen erhöhten Energiebedarf, das beweisen weitere Experimente. Und wer viel Energie benötigt, der kann Hungerzeiten schlechter überdauern. „Wir verstehen jetzt, warum die Evolution nicht die schnellstmögliche Reproduktion bevorzugt“, sagt Gerland. „Die biologische Fitness, die für den Fortbestand einer Art entscheidend ist, basiert auf der Balance zwischen Wachstum und Überlebensfähigkeit.“

Antibiotika-Therapie mit Zuckerbrot und Peitsche

Die Forschungsergebnisse lassen sich möglicherweise in Zukunft dazu nutzen, um beispielsweise die Wirkung von Antibiotika zu verbessern: „Man könnte nach dem Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip beispielsweise Darmbakterien durch Verzehr einer Süßspeise zum Wachstum anregen. Das würde sie schwächen, wenn man dann ein Antibiotikum gegen eine Darminfektion einnimmt“, erklärt Gerland. Für konkrete Empfehlungen sei es aber noch zu früh. Hier seien weitere Forschungen nötig.

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