Biotech-Branche bleibt in der Wirtschaftskrise stabil

Ernst & Young: Deutscher Biotechnologie-Report 2010

23.04.2010 - Deutschland
Die deutsche Biotech-Branche konnte im Krisenjahr 2009 ihren Umsatz auf dem Niveau des Vorjahres halten: Das so genannte Kernsegment, also Biotech-Unternehmen, die ihren Stammsitz in Deutschland haben, erreichte mit 960 Millionen Euro Umsatz exakt den Vorjahreswert. In einer erweiterten Betrachtung - analog der Analyse des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) - in der unter anderem auch in Deutschland ansässige Tochterfirmen ausländischer Biotech-Unternehmen zusammengefasst sind, stieg der Umsatz um weniger als ein Prozent von 2,19 Milliarden Euro auf 2,2 Milliarden Euro. Die börsennotierten Unternehmen mit Stammsitz in Deutschland steigerten ihren Umsatz sogar um 7 Prozent von 212 auf 226 Millionen Euro. Die Zahl der Unternehmen blieb im Kernsegment mit 387 etwa auf dem Niveau des Vorjahres (386), während im erweiterten Segment ein Anstieg um 30 Firmen auf 531 Unternehmen registriert wurde. Die Zahl der Beschäftigten stieg im erweiterten Segment um drei Prozent von 14.450 auf 14.950. Im Kernsegment ist ein Beschäftigtenzuwachs um ein Prozent von 9.794 auf 9.861 zu verzeichnen. Zu diesen Ergebnissen kommt der elfte deutsche Biotechnologie-Report der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) im erweiterten Segment mit 1,06 Milliarden Euro nahezu gleich geblieben. Im Kernsegment sind die F&E-Ausgaben hingegen um sechs Prozent gesunken - eine Reaktion auf knapper werdendes Kapital. Während jedoch die privaten Unternehmen ihre F&E-Ausgaben fast auf Vorjahresniveau hielten (Rückgang um ein Prozent auf 587 Millionen Euro), sanken sie bei den börsennotierten Unternehmen deutlich um 22 Prozent auf 159 Millionen Euro. Hintergrund sind die unterschiedlichen Schwerpunkte in den Unternehmenssegmenten: Während private Unternehmen stärker im Servicegeschäft aktiv sind und daher insgesamt niedrigere F&E-Aufwendungen haben, konzentrieren sich die gelisteten Firmen stärker auf die forschungs- und kostenintensive Produktentwicklung. In schwierigen Zeiten sind sie daher stärker unter Druck, knappes Kapital sparsam einzusetzen. Deutliche Fortschritte bei der Produktentwicklung Insgesamt ist die Zahl der Wirkstoffe in der Medikamenten-Entwicklung bei den deutschen Biotech-Unternehmen um erfreuliche 8 Prozent auf 340 gestiegen. In der klinischen Prüfung - also in den Phasen I bis III - befinden sich derzeit mit 141 Wirkstoffen etwas mehr Projekte als im Vorjahr (135). Herausragend ist die Tatsache, dass nach den Zulassungserfolgen im Jahr 2008 in 2009 wiederum drei neue Medikamente den Markt erreicht haben. „Damit hat die Biotechnologiebranche in Deutschland erneut bewiesen, dass sie in der Lage ist, mit vermarktungsfähigen Wirkstoffen Wertschöpfung zu erzielen“, kommentiert Siegfried Bialojan, Leiter des Industriesektors Life Science bei Ernst & Young und Autor der Studie. Neben den Marktzulassungserfolgen ist bemerkenswert, dass die Zahl der Wirkstoffkandidaten in den entscheidenden klinischen Phasen II und III im vergangenen Jahr um 17 Prozent von 85 auf 99 gestiegen Ist. „Besonders ermutigend ist, dass es in Phase III keine negativen Studienergebnisse oder Entwicklungsabbrüche gab. Zudem sind drei Phase-II-Projekte in die nächste klinische Stufe vorgerückt, und ein weiteres Phase-III-Projekt konnte identifiziert werden, so dass sich die Anzahl in dieser Wertschöpfungsstufe von zehn auf 14 Kandidaten erhöht hat“, unterstreicht Bialojan die positive Entwicklung. Und er stellt fest: „Die deutschen Biotech-Unternehmen arbeiten insgesamt erfolgsorientierter als früher. Sie konzentrieren sich darauf, ihre höheren Wertschöpfungsstufen weiter voranzubringen“. Durch eine robuste präklinische Pipeline mit 197 neuen Produktkandidaten (plus 12 Prozent) ist auch der Nachschub gesichert. Der leichte Rückgang in Phase I ist eher positiv zu beurteilen, denn er zeigt, dass die Produktkandidaten diese letzte Phase vor dem Test am Menschen effizienter durchlaufen. Eigenkapitalfinanzierung bricht erneut ein Die deutsche Biotech-Branche leidet weiterhin sehr stark unter der schwierigen Finanzierungssituation. Nach dem schmerzhaften Absturz der Eigenkapitalfinanzierungen im Jahr 2008 um fast 45 Prozent ist die Eigenkapital-Finanzierung im Jahr 2009 erneut um 51 Prozent eingebrochen. Dieser erneute Einbruch traf jedoch nur die privaten Unternehmen, die mit einem Rückgang von 66 Prozent nur noch 69 Millionen Euro von Risikokapitalgebern oder Private Equity-Investoren erhielten (Vorjahr: 203 Millionen Euro). Börsennotierte Gesellschaften, deren Kapitalaufnahme im Vorjahr ebenfalls kräftig zurückgegangen war, konnten den weiteren Abwärtstrend zumindest aufhalten. Sie legten im Rahmen von Sekundärfinanzierungen um - wenn auch bescheidene - 10 Prozent zu. Wie bereits in den zwei vorangegangenen Jahren gab es auch 2009 in Deutschland keinen Börsengang. Mit einer Gesamtfinanzierungssumme von nur noch 123 Millionen Euro habe die Branche einen erschreckenden Tiefpunkt erreicht, dessen Ausmaß die Krise nach der Jahrtausendwende noch einmal deutlich übersteige, kommentiert Bialojan. „Damit sind wir auf dem Niveau des Jahres 1997 angekommen, als sich Branche in Deutschland noch in den Kinderschuhen befand. Die Tatsache, dass sich das eingeworbene Eigenkapital damals auf nur 173 Unternehmen verteilte, zeigt, wie mager das Angebot an Eigenkapital gegenwärtig ist“, so Bialojan. Der anhaltende Einbruch der Eigenkapitalfinanzierung privater deutscher Biotechnologie-Unternehmen hat verschiedene Ursachen. Zum einen haben die beiden größten Privatinvestoren der vergangenen beiden Jahre im Jahr 2009 keine weiteren Beteiligungen in Deutschland abgeschlossen. Zum anderen gibt es immer weniger Risikokapital-Investoren in Deutschland. Die Gründe hierfür liegen vor allem an den Schwierigkeiten vieler Investoren, neue Geldgeber für ihre Fonds zu überzeugen. Viele Geldgeber scheuen das Risiko, da eine nachhaltige Erfolgsbilanz nach wie vor fehlt. Wie in Deutschland hat sich auch in Europa die Finanzierungssituation der privaten Biotech Unternehmen weiter verschlechtert. Insgesamt flossen nur 712 Millionen Euro (minus 29 Prozent) an Risikokapital in die Branche. Erheblich besser schnitten die börsennotierten Gesellschaften ab, die ihr Eigenkapital um 216 Prozent auf 1695 Millionen Euro steigern konnten. Allerdings sind in diesem Betrag mit Qiagen und Warner Chillcott zwei außergewöhnlich hohe Finanzierungen enthalten, die mit einem Volumen von 780 Millionen Euro allein bereits 46 Prozent der Gesamtsumme ausmachen. „Die Erholung an den Kapitalmärkten, die ebenfalls in den USA erkennbar ist, deutet an, dass der Appetit der Börsen auf den Life Science Sektor wieder steigt. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Trend anhält und wieder neue Börsengänge ermöglicht. Im Jahr 2009 gingen allerdings lediglich vier europäische Biotech-Unternehmen an die Börse und erzielten dabei Emissionserlöse von insgesamt 90 Millionen Euro (plus 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Zusammenarbeit und strategische Partnerschaften mit Pharmafirmen als Ausweg aus dem Finanzierungsengpass Auswege aus dem Finanzierungsengpass bieten neue Formen von Kollaborationen und strategischen Partnerschaften insbesondere zwischen Biotech- und Pharma-Unternehmen. Beide Branchen haben komplementäre Stärken und Schwächen, mit denen sie sich in der gegenwärtigen Lage gegenseitig helfen können: Biotech-Unternehmen leiden einerseits unter chronischer Finanzschwäche, sind aber andererseits innovationsstark. Umgekehrt haben die Pharma-Unternehmen bei einer vergleichsweise komfortablen finanziellen Ausstattung in den vergangenen Jahren an Innovationskraft eingebüßt und sind stark unter Kostendruck geraten. Dies motiviert sie, Teile ihrer F&E-Aktivitäten auszulagern und mittels Partnerschaften mit Biotech Unternehmen Zugang zu Innovationen zu suchen. Davon profitieren Biotech-Unternehmen, die sowohl als Service- wie auch als strategische Partner für Pharmaunternehmen höchst attraktiv sind. Insbesondere die Serviceanbieter unter den Biotech-Unternehmen können im Zuge des zunehmenden Trends zur Auslagerung von F&E-Aktivitäten durch Pharmaunternehmen profitieren. Das kommt vor allem der deutschen Biotech-Branche entgegen, denn hierzulande ist der Anteil von - überwiegend kleinen - Service-, Technologie- und Tools-Anbietern mit 42 Prozent (162 Unternehmen) besonders hoch; nur 33 Prozent der deutschen Unternehmen entwickeln Therapeutika. Folglich hat die relative Häufigkeit von Dienstleistungsvereinbarungen in Deutschland zugenommen (von 20 Prozent auf 23 Prozent) und liegt deutlich über dem Europäischen Durchschnitt (11 Prozent). Da diese Vereinbarungen vielfach nicht publiziert werden, ist die tatsächliche Anzahl an Dienstleistungsvereinbarungen deutlich höher als aus den veröffentlichen Informationen ablesbar. Deutsche Biotech Unternehmen haben ihren Schwerpunkt auf Technologie-Allianzen gelegt. Die Anzahl dieser Vereinbarungen liegt auch hier mit einer relativen Häufigkeit von 48 Prozent doppelt so hoch wie der europäische Durchschnitt (24 Prozent). Dies zeigt die Innovationskraft deutscher Biotech-Unternehmen, die sie für innovationshungrige Pharmapartner attraktiv macht. Dementsprechend weisen 75 Prozent der publizierten Transaktionsvereinbarungen deutsche Biotech Unternehmen als Anbieter von Technologien und Dienstleistungen aus. Lediglich 25 Prozent der Unternehmen sind als Käufer von Technologien oder Produkten aktiv geworden.

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