Mutation sorgt für 15fach erhöhtes Schizophrenie-Risiko

01.08.2008

Drei neu entdeckte genetische Veränderungen erhöhen das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, erheblich. Das hat ein internationales Forscherkonsortium unter maßgeblicher Beteiligung der Universität Bonn, der LMU München sowie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim festgestellt. Die Wissenschaftler sprechen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Nature" von einem "aufregenden Schritt vorwärts". Sie konnten drei Regionen im Erbgut identifizieren, die vergleichsweise häufig spontan mutieren. Träger dieser neuen Mutationen haben dann ein bis zu 15fach erhöhtes Risiko, an Schizophrenie zu erkranken.

Schon lange nimmt man an, dass Schizophrenie unter anderem genetisch bedingt ist. Allein durch Vererbung lassen sich die Krankheitsfälle aber nicht erklären: Da die Betroffenen oft keine Kinder bekommen, müsste das Leiden dann nämlich immer seltener werden. Das ist aber nicht der Fall: Weltweit liegt das Erkrankungsrisiko seit Jahrzehnten unverändert bei 1 Prozent.

Eine Erklärung sind spontane Veränderungen des Erbguts. Sind davon Gene betroffen, die mit der Hirnfunktion zu tun haben, kann eine Schizophrenie möglicherweise quasi aus dem Nichts neu entstehen. Normalerweise sind derartige Mutationen aber sehr selten. "Es gibt jedoch Erbgutregionen, die besonders anfällig für Mutationen sind", erklärt Dr. Sven Cichon vom Forschungszentrum Life&Brain der Universität Bonn. "Nach derartigen Regionen haben wir gesucht und geschaut, ob sie etwas mit der Schizophrenie zu tun haben könnten."

Cichon ist zusammen mit seinem isländischen Kollegen Dr. Hreinn Stefansson sowie Dr. Dan Rujescu von der LMU München Erstautor der Studie. Insgesamt waren fast 100 Wissenschaftler aus aller Welt beteiligt. Im ersten Schritt verglichen sie das Erbgut gesunder Jugendlicher mit dem ihrer Eltern. So wollten sie spontane genetische Veränderungen identifizieren. Sie fanden dabei 66 Mutationen, die bei den Jugendlichen neu aufgetreten waren. "Dann haben wir bei fast 5.000 Schizophrenie-Patienten nachgeschaut, ob bei ihnen vielleicht eine oder mehrere dieser Mutationen auffällig oft vorkommen", sagt Cichon.

Mit Erfolg: Gleich drei der 66 Mutationen tauchen bei den Patienten viel häufiger auf als bei Gesunden. Dabei handelt es sich jeweils um so genannte Deletionen. Da der Mensch von jedem Gen üblicherweise zwei Kopien hat, kann er den Verlust einer Kopie oft kompensieren - in diesem Fall allerdings nur teilweise. "Bei den von uns entdeckten Deletionen ist das Risiko deutlich erhöht, an einer Schizophrenie zu erkranken", sagt Sven Cichon.

Die betroffenen Regionen scheinen also Gene zu enthalten, die etwas mit der Hirnfunktion zu tun haben. "Wir werden sie nun genauer unter die Lupe nehmen", erläutert Dan Rujescu. "Davon erhoffen wir uns vor allem neue Erkenntnisse zur Krankheitsentstehung. Langfristig könnte das auch zur Entwicklung neuer Medikamente führen." Außerdem lassen sich die Erkenntnisse für eine bessere Diagnostik nutzen.

Die Autoren betonen, dass die gefundenen Mutationen nur einen sehr kleinen Teil aller Schizophrenie-Fälle erklären können. "Dennoch ist dies ein aufregender Schritt vorwärts und ein guter Ausgangspunkt für weitere viel versprechende Untersuchungen", freut sich Cichons Kollege Professor Dr. Markus Nöthen. Zwar gab es bereits zuvor Hinweise auf Gene, die bei der Entstehung einer Schizophrenie eine Rolle spielen. Ihr Beitrag ist aber viel moderater. "Eine Erhöhung des Krankheitsrisikos um das 10- bis 15fache wie in unserem Fall ist wirklich extrem."

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