Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Göttingen ist es erstmals gelungen, in einem Mausmodell eine erblich bedingte tödliche Stoffwechselkrankheit, die sogenannte Molybdän-Cofaktor (MoCo) Defizienz, mit Hilfe von
Gentherapie zu heilen. Ursache dieser seltenen Erbkrankheit ist ein Defekt an einem einzigen Gen - dem Gen MOCS1. Die Göttinger Forscher haben eine Methode gefunden, gezielt die fehlende genetische Information einzuschleusen. Die Studie stand unter gemeinsamer Leitung von Dr. Sebastian Kügler, Abteilung
Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen, DFG Forschungszentrum Molekularphysiologie des Gehirns (CMPB), und von Prof. Dr. Jochen Reiss, Abteilung
Humangenetik der Universitätsmedizin Göttingen. Die Ergebnisse liefern grundlegende Erkenntnisse für eine mögliche gentherapeutische Behandlung vieler im frühen Kindesalter auftretender genetischer Erkrankungen.
Um die genetische Information in die
Zellen der Mäuse zu transportieren, nutzten die Göttinger Forscher eine Variante der Gentherapie: Sie setzten spezielle
Viren ein, die so verändert sind, dass sie als Transport-Vehikel - auch Gentransfervektoren genannt - für heilende Gene dienen können. Diese Viren binden gezielt an spezifische Zellen und transportieren die genetische Information genau dorthin, wo sie im Organismus fehlt. Für das Mausmodell der Erbkrankheit hatte die Gruppe um den Humangenetiker Prof. Dr. Jochen Reiss zuvor das Gen MOCS1 vollständig ausgeschaltet und so die Krankheit im Mausmodell simuliert. Mit Hilfe der Gentransfervektoren ist es gelungen, die fehlende genetische Information im Organismus der Mäuse zu ersetzen. Alle notwendigen Komponenten für den Stoffwechsel wurden wieder produziert. Die Mäuse entwickelten sich normal.
Für viele monogenetische
Erbkrankheiten gibt es derzeit keine Therapie. "Die Methode des Gen-Transports via spezieller Viren halten wir im Prinzip für übertragbar auch auf andere monogenetische Erbkrankheiten," so Dr. Sebastian Kügler. Der in der aktuellen Studie für die Gentherapie verwendete Adeno-Assoziierte Virus (AAV) zeichnet sich durch zwei wesentliche Sicherheitsmerkmale aus: "Erstens ist das Virus für Menschen vollkommen ungefährlich. Und zweitens integriert der AAV-basierte Gentransfer-Vektor seine genetische Information nicht in das Genom der infizierten Zellen," sagt Prof. Reiss. Dadurch wird schon im Ansatz einer möglichen schwerwiegenden Nebenwirkung gentherapeutischer Verfahren entgegengewirkt, der Tumorbildung.
Allerdings hat die Tatsache, dass AAV-Vektoren sich nicht in das Genom der infizierten Zellen einklinken, auch einen entscheidenden Nachteil für eine eventuelle Anwendung der Methode gerade bei sehr jungen Patienten: Während des Wachstums eines Organs teilen sich auch die infizierten Zellen - und so geht mit der Zeit die genetische Information des Gentransfer-Vektors verloren. Beim menschlichen Patienten könnte es also notwendig werden den Gentransfervektor z.B. im frühen Erwachsenenalter erneut anzuwenden, um sicherzustellen, dass immer genügend Zellen die notwendigen Stoffwechselvorgänge ausführen können.
Einem solchen Weg steht aber das menschliche
Immunsystem gegenüber: Das Immunsystem "merkt" sich die
Proteine der Virushülle als körperfremde Substanzen. Im Falle der Gentherapie kann die Aktivierung des Immunsystems deshalb auch dazu führen, dass bei der zweiten Anwendung des Gentransfer-vektors dieser vom Immunsystem bekämpft und damit zumindest teilweise wirkungslos gemacht wird.
Dem Immunsystem wollen die Forscher mit einem Trick beikommen: Es ist bekannt, dass im Stadium des frühen Kindesalter das Immunsystem noch darauf "trainiert" werden kann, körperfremde Proteine als "eigene" zu erkennen. Diesen Vorgang wollen die Göttinger Forscher näher untersuchen und für ihre Methode ausloten.
Originalveröffentlichung: S. Kügler, R. Hahnewald, M. Garrido, J. Reiss; "Long-Term Rescue of a Lethal Inherited Disease by Adeno-Associated Virus-Mediated Gene Transfer in a Mouse Model of Molybdenum-Cofactor Deficiency."; The American Journal of Human Genetics 2007, 80, pp. 291 - 297.