Strukturen von Nukleosidkinasen: Molekulare Einblicke in Engpässe der Chemotherapie

Die Wirkung einer wichtigen Klasse von Medikamenten, die in der Chemotherapie gegen Tumoren und Virus-Infektionen eingesetzt werden, wird in vielen Fällen in der Zelle durch eine ineffiziente Umwandlung zu pharmakologisch aktiven Verbindungen begrenzt.

14.07.2003

Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Biophysikalische Chemie in Göttingen und der University of Illinois in Chicago, U.S.A., haben jetzt die Struktur und die katalytischen Eigenschaften eines Enzyms aufgeklärt, das bei der Umsetzung von mehreren medizinisch relevanten Verbindungen von essentieller Bedeutung ist. Eine Schlüsselrolle spielen Enzyme aus der Klasse der Nukleosid- und Nukleotidkinasen.

In der Chemotherapie viraler Infektionen und zahlreicher Krebserkrankungen werden häufig Wirkstoffe eingesetzt, die in ihrer Struktur den physiologischen Bausteinen der Nukleinsäuren ähneln. Diese Ersatzbausteine, so genannte Nukleosid-Analoga, werden von den viralen oder zellulären Enzymen, welche die Nukleinsäuren als Träger der genetischen Information vervielfältigen, meist gut angenommen; sie führen bei der Synthese eines neuen DNS-Stranges jedoch zu einem Kettenabbruch oder zu einer instabilen Struktur und hemmen dadurch die weitere Vermehrung der Viren oder des Tumors. Diese Nukleosid-Analoga, im jeweiligen Fall auch als Virustatika und Cytostatika bezeichnet, sind im Vergleich zu den natürlichen Bausteinen meist in ihrem Zucker-Anteil chemisch verändert. Damit sie als Medikament von den Zellen aufgenommen werden können, müssen sie dem Patienten aber als Vorläufer-Substanzen, als so genannte Pro-Drugs, verabreicht werden. Die pharmakologisch aktiven Formen entstehen dann in den Zellen unter Beteiligung mehrere Enzyme, deren Aufgabe es ist, diese Pro-Drugs dreifach zu "phosphorylieren", d.h. schrittweise drei Phosphatreste anzuhängen.

So werden bestimmte Medikamente bei der Behandlung von Herpes Virus-Infektionen, andere universell bei der Behandlung von AIDS eingesetzt, und einige Pro-Drugs spielen eine bedeutende Rolle in der Therapie von Tumor-Erkrankungen, einschließlich Leukämien. In manchen Fällen erweisen sich diese Substanzen jedoch als wenig wirksam, entweder weil die Pro-Drugs nur unzureichend zur therapeutisch aktiven Form umgewandelt werden, weil sich ein toxisches Zwischenprodukt anhäuft, oder weil die Nukleosid-Analoga nicht mit ausreichender Spezifität von den Zielzellen eingebaut werden.

Durch die Zusammenarbeit der Forschergruppen von Arnon Lavie in Chicago und Manfred Konrad in Göttingen ist es jetzt gelungen, die Struktur der Deoxycytidinkinase (dCK), eines Schlüsselenzyms im Nukleotidstoffwechsel des Menschen, durch die Methode der Protein-Kristallographie aufzuklären. Dieses Verfahren der Strukturanalyse macht in diesem Falle sichtbar, wie Medikamente von ihren Zielproteinen erkannt und verändert werden. Das Enzym dCK phosphoryliert in der Zelle nicht nur die natürlichen Bausteine, sondern auch eine Reihe von medizinisch relevanten Pro-Drugs. Die hohe Auflösung (0.16 nm) der Methode erlaubt detaillierte Einblicke in die Struktur des Enzyms und lässt die für die Phosphorylierung kritischen Wechselwirkungen zwischen einzelnen Aminosäuren des Enzyms und Medikamenten erkennen. Die Strukturen der Verbindungskomplexe zwischen Enzym und Medikament können auch erklären, warum verschiedene Medikamente unterschiedlich gut phosphoryliert werden, was sowohl durch Messungen am gereinigten Enzym als auch in Zellkulturen und sogar am Patienten beobachtet wurden.

Mit diesen Kenntnissen ergeben sich jetzt auch neue Möglichkeiten, durch gezieltes Verändern des Enzyms Varianten zu erzeugen, die bereits etablierte Pro-Drugs selektiver und effizienter aktivieren. So ist es bereits gelungen, die menschliche dCK so zu verändern, dass sie das natürliche Substrat Deoxycytidin 50-fach und ein Analog 4-fach besser phosphoryliert als das natürlich vorhandene Enzym. Die kritische Rolle dieses Enzyms in der Chemotherapie zeigt sich unter anderem in einer direkten Korrelation zwischen der Aktivität des Enzyms und der Empfindlichkeit von Tumorzellen auf Nukleosid-Analoga. So sind Zellen mit fehlender oder stark verringerter dCK-Aktivität resistent gegen eine Behandlung mit verschiedenen Pro-Drugs; durch verstärkte Expression des Enzyms können die Zellen aber andererseits gegen diese Antitumor-Substanzen empfindlicher gemacht werden.

Die Arbeiten der internationalen Forschergruppe zeigen beispielhaft, wie die detaillierte Kenntnis der Struktur eines Schlüsselenzyms des menschlichen Organismus dazu beitragen kann, die teilweise sehr unterschiedliche Wirkung von klinisch etablierten Pharmaka auf molekularer Ebene zu verstehen. Die Ergebnisse zeigen deshalb auch Wege auf für die Entwicklung neuer Medikamente, die in den Zellen besser zur aktiven Wirksubstanz umgesetzt werden und damit eine wesentlich bessere therapeutischen Wirkung entfalten könnten. Als langfristige Perspektive könnten durch gezielte Strukturveränderung auch die Eigenschaften des menschlichen Enzyms so optimiert werden, dass es die schon lange Zeit klinisch eingesetzten Pro-Drugs effizienter umwandelt und dann für Gen- oder Protein-therapeutische Strategien bei der Behandlung gewisser Tumoren und Leukämien geeignet ist.

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