Allergie-Studie: Erstmals Beweis für «Hygiene-Hypothese» entdeckt

23.09.2002
Marburg (dpa) - Marburger Forscher haben weltweit erstmals einen medizinischen Beweis dafür gefunden, warum hohe Hygiene eine Ursache für Allergien ist. Bislang gibt es nur statistische Studien, nach denen Kinder in einer allzu keimfreien Umwelt besonders anfällig für Allergien sind. «Bei Kindern, die auf einem Bauernhof aufwachsen, ist dagegen das Risiko für Heuschnupfen und Asthma nur halb so groß», berichtete Prof. Harald Renz vom Universitätsklinikum Marburg am Donnerstag über die Ergebnisse einer gemeinsamen Studie von Kliniken in München, Salzburg, Basel und Marburg. Die Ergebnisse der Studie wurden am Donnerstag im renommierten Fachblatt «New England Journal of Medicine» veröffentlicht. Bisher habe es zwar zahlreiche Hinweise gegeben, dass Bauernkinder seltener an Allergien litten, die Ursache dafür sei jedoch unklar gewesen, sagte Renz. In ihrer Studie an 3500 Kindern konnten die Forscher nun anhand spezieller Botenstoffe (Zytokine) nachweisen, dass das Immunsystem der auf einem Bauernhof aufgewachsenen Vier- bis Achtjährigen auf besondere Weise «trainiert» war: «Weil sie ständig mit Keimen konfrontiert werden, wird ihr Immunsystem toleranter - es gewöhnt sich an harmlose Bakterien und schaltet dann quasi ab», erklärte Renz. Auch beim Kontakt mit eigentlich harmlosen Allergenen wie Pollen reagiere das Immunsystem der «Bauernkinder» nicht. Lästige Symptome wie triefende Augen und juckende Nasen blieben daher aus. Grund seien die Zytokine, die nach dem Kontakt mit bakteriellen Toxinen (Giftstoffen) bestimmte Immunzellen - so genannte Th1-Helferzellen - stimulieren. Wenn der Anteil an Th1-Helferzellen im Körper hoch ist, können nur wenige Immunzellen eines «Gegenspielers», der Th2- Helferzellen, zirkulieren. Diese zweite Variante aber ist verantwortlich für die Produktion spezieller Antikörper, die auf Haut und Schleimhäuten zu allergischen Überreaktionen führen können. Besonders gut vor Asthma und Heuschnupfen geschützt waren nach Darstellung von Renz die Kinder, deren Mütter auch während der Schwangerschaft täglich im Stall arbeiteten: «Ein täglicher Stallaufenthalt von 20 Minuten war ein guter Schutz.» Kinder müssten möglichst früh mit Bakterien konfrontiert werden; wenn sie erst nach ihrem ersten Lebensjahr auf einen Bauernhof gezogen waren, litten sie genauso häufig an Allergien wie andere Kinder. Eine Ausnahme gab es nur bei der Neurodermitis, sie trat bei beiden Vergleichsgruppen - Kinder von Bauernhöfen und Kinder aus Dörfern - mit derselben Wahrscheinlichkeit auf. Langfristig wollen die Forscher die Erkenntnisse für eine neuartige Behandlung von Allergikern nutzen. «Es soll eine Art Allergie-Impfung geben zum Beispiel mit Bakterien, die das Immunsystem beeinflussen können - aber das ist noch Zukunftsmusik», erklärte Renz.

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