Wie „Software-Fehler“ zu Krebs führen

Epigenetik verbessert Tumorforschung

05.09.2012 - Deutschland

Nicht nur Mutationen in den Genen, also im Erbgut selbst, sind für die Entstehung von Tumoren verantwortlich. Auch Veränderungen des sogenannten „epigenetischen Codes“, der für das An- und Abschalten der Gene mitverantwortlich ist, können das ungehinderte Wachstum von bösartigem Gewebe vorantreiben. „In der Früherkennung und Behandlung von Krebserkrankungen werden solche „Software-Fehler“ im Erbgut in Zukunft an Bedeutung gewinnen“, erklären Experten im Vorfeld der 9. Jahrestagung der Deutschen Vereinten Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL).

„Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat bei vielen Menschen die Hoffnung geweckt, mit diesen Informationen die Grundlagen von Krebserkrankungen verstehen und Krebs präventiv behandeln zu können“, erläutert Dr. rer. nat. Sonja Stadler vom Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik am Universitätsklinikum Leipzig. Doch tatsächlich nutze die alleinige Kenntnis der DNA-Sequenzen bis heute kaum dazu, einer Krebserkrankung vorzubeugen oder diese zu therapieren. „Bis heute können wir die DNA-Sequenz nicht reparieren“, so die Expertin.

Möglicherweise müssten Biomediziner an anderen molekularen Zellbausteinen ansetzen, um der Entstehung von Krebs auf die Spur zu kommen. Wie zahlreiche Forschungsarbeiten in den letzten Jahren gezeigt haben, sind neben Genmutationen auch sogenannte „epigenetische“ Veränderungen dafür verantwortlich, dass die Teilungsmechanismen einer Zelle außer Kontrolle geraten und sich ein Tumor bildet. „Biochemisch betrachtet, handelt es sich um die Anlagerung von beispielsweise Methyl,- Acetyl- oder auch Phosphatgruppen an das Chromatin, die somit einzelne Gene aus- oder anschalten“, erklärt Dr. Stadler.

Der epigenetische Code steuert in einer Zelle, welche Genabschnitte abgelesen werden und welche nicht. Nur so ist erklärbar, weshalb eine Nervenzelle ganz anders aussieht als eine Muskelzelle, obwohl beide Zellen über genau die gleiche Erbinformation verfügen. „Betrachtet man den genetischen Code als Hardware einer Körperzelle, so ist der epigenetische Code die Software“, erklärt Dr. Stadler.

Genau wie die Gene selbst können epigenetische Muster bei der Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben werden. Im Gegensatz zu den Genen können Lebewesen jedoch bestimmte epigenetische Zellmuster auch erwerben, etwa durch die Ernährung als Fötus während der Schwangerschaft, Umweltgifte oder Radioaktivität. „Eine mögliche Folge epigenetischer Abweichungen ist eine Krebserkrankung“, erläutert Dr. Stadler. Zum Krebs komme es beispielsweise, wenn ein epigenetischer Fehler Gene ausschaltet, die normalerweise verhindern, dass sich gesunde Körperzellen in Krebszellen verwandeln.

Epigenetische Veränderungen in Krebszellen wurden bereits in den 1980er-Jahren entdeckt. „Doch erst in letzter Zeit wird ihre Bedeutung für die Krebsentstehung besser verstanden“, so die Leipziger Expertin. Als Beispiel für das enge Zusammenspiel von Genen und Epigenetik nennt die Molekularbiologin das Gen ARID1A, das bei Krebserkrankungen der Eierstöcke häufig mutiert ist. ARID1A ist nicht direkt an der Tumorentstehung beteiligt. Es enthält aber die genetische Information für einen Eiweißkomplex, der sich an den Chromosomen anlagert und dadurch – epigenetisch – bestimmt, welche Gene abgelesen werden und welche nicht.

Wesentliche epigenetische Veränderungen können heute experimentell im Labor nachgewiesen werden und damit in Zukunft auch als potentielle Biomarker in der Krebsfrüherkennung herangezogen werden, hofft Dr. Stadler. Auch die Krebstherapie kann langfristig von den Erkenntnissen der Epigenetik profitieren. In der Entwicklung seien Medikamente, die die Anlagerung von Methylgruppen an die DNA verhindern. Wenn man verhindern kann, dass die falschen Gene abgeschaltet werden und es zu einem verhängnisvollen „Software-Fehler“ kommt, würde der Krebserkrankung vorgebeugt.

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