Entstehung von schwerer Gehirnfehlbildung auf der Spur

16.02.2012 - Deutschland

Forscher des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch haben jetzt einen molekularen Mechanismus entschlüsselt, welcher der häufigsten Gehirnfehlbildung des Menschen zugrunde liegt. Bei der sogenannten Holoprosenzephalie (HPE) ist das Vorderhirn (Prosencephalon) nur unvollständig ausgebildet. Eine Schlüsselrolle spielt dabei eine Bindungsstelle (Rezeptor) für Cholesterin. Ist sie defekt, können bestimmte Signale nicht empfangen werden und das Vorderhirn kann sich nicht in zwei Hirnhälften teilen, wie Dr. Annabel Christ, Prof. Thomas Willnow und Dr. Annette Hammes jetzt in Mäusen gezeigt haben.

Annabel Christ/ Copyright: MDC

Die gestrichelte Linie markiert die Region des Neuralrohrs, aus welchem sich das Vorderhirn entwickelt. Dort findet sich bei Mausembryonen (linkes Bild) normalerweise eine Bindungsstelle (Lipoproteinrezeptor LRP2) (grün) für Cholesterin, die eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Vorderhirns spielt. Das Signalmolekül sonic hedgehog (SHH) (rot) stammt aus der mit dem Pfeil markierten Struktur unterhalb des Neuralrohrs (Prächordalplatte) und häuft sich im darüber liegenden Neuralrohr an. Daher ist auch innerhalb des Vorderhirn-Struktur ein rotes Signal sichtbar. Bei Mausembryonen, bei denen das Gen für LRP2 ausgeschaltet worden ist (rechtes Bild), wird zwar SHH in der Prächordalplatte gebildet (Pfeil), das Signalmolekül reichert sich aber nicht in der darüber liegenden markierten Vorderhirnstruktur an. Es fehlt der Rezeptor LRP2 (kein grünes Signal).

Cholesterin hat einen schlechten Ruf, weil es bei Erwachsenen zu Gefäßverkalkung (Arteriosklerose) führen kann und auch zu Herzinfarkt und Schlaganfall. Für die Entwicklung eines Embryos aber ist Cholesterin lebensnotwendig, da es die Entwicklung des zentralen Nervensystems steuert. Fehlt es, kommt es zu schweren Entwicklungsstörungen des Vorderhirns (Prosencephalon), dem größten Bereich des menschlichen Gehirns. Eine von 250 Schwangerschaften bricht wegen solch einer Missbildung, der Holoprosenzephalie (HPE), ab. Eines von 16.000 Kindern kommt mit HPE zur Welt, deren mildeste Form Gaumen-Lippenspalten sind. Schwere Formen der HPE führen zum Tod betroffener Kinder noch in den ersten Lebenswochen.

HPE kann genetisch bedingt sein, aber auch durch Umwelteinflüsse wie Virusinfektionen oder Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft ausgelöst werden. Oft ist aber auch der Cholesterinstoffwechsel gestört. So leiden Patienten, die auf Grund einer genetischen Störung kein körpereigenes Cholesterin bilden können, unweigerlich an HPE.

Wie Prof. Willnow erläutert, entwickelt sich das menschliche Gehirn aus dem Neuralrohr, einem einfachen, röhrenartigen Zellverband im Embryos. Warum Defekte des Cholesterinstoffwechsels zu einer Entwicklungsstörung des Neuralrohrs und zu HPE führen, ist derzeit nicht eindeutig geklärt. Ein möglicher Hinweis ergibt sich jetzt aus den Untersuchungen der Berliner Forscher. Sie haben einen Rezeptor namens LRP2 identifiziert, welcher im Neuralrohr gebildet wird und Cholesterin in seiner Transportform, den sogenannten Lipoproteinen, binden kann.

Interesanterweise bindet dieser Rezeptor aber auch ein wichtiges Signalmolekül der Vorderhirnentwicklung (sonic hedgehog, abgekürzt SHH). Wie die Forscher jetzt zeigen konnten, ist es dieser Lipoprotein-Rezeptor, der dafür sorgt, dass sich SHH im Neuralrohr an einer bestimmten Stelle anhäuft und die Entwicklung der Vorderhirnstrukturen induziert. Die Forscher vermuten nun, dass Cholesterin, direkt oder indirekt, die Aktivität dieses neuartigen Rezeptors kontrolliert and dass Störungen des Cholesterinstoffwechsels zu einem Funktionsverlust dieser zentralen Bindestelle für SHH Signale führt.

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