Wie das Coronavirus SARS-CoV-2 mit menschlichen Körperzellen kommuniziert

Landkarte der molekularen Kontakte

12.10.2022 - Deutschland

Wie genau sehen die molekularen Interaktionen zwischen dem menschlichen Wirt und dem COVID-19 Virus aus? Auf welchen genetischen Unterschieden beruhen die verschiedenen Krankheitsverläufe? Und wie unterscheiden sich die noch neu entstehenden Virusvarianten in ihren Wirt-Virus-Interaktionen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat ein internationales Forscherteam eine systematische Kontaktkarte erstellt.

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Symbolbild

Die Kontaktkarte, die im Fachmagazin Nature Biotechnology veröffentlicht wurde, umfasst mehr als 200 Protein-Protein-Kontakte, sogenannte Proteininteraktionen. Das internationale Konsortium aus Wissenschaftler:innen unter der Leitung von Pascal Falter-Braun, Direktor am Helmholtz Munich Institute of Network Biology (INET) und Professor für Mikroben-Wirts Interaktionen an der Fakultät für Biologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München, bestand aus Teams in Kanada, den USA, Frankreich, Spanien und Belgien.

Im Gegensatz zu früheren groß angelegten Studien über Protein-Protein-Komplexe, konnten jetzt die direkten Proteinkontakte zwischen Virus und Wirt genau identifiziert werden. "Um die mechanistischen Verbindungen zwischen Virus und Wirt wirklich zu verstehen, müssen wir wissen, wie die einzelnen Teile zusammenpassen", sagt Frederick Roth, Professor am Donnelly Centre der Universität Toronto und am Sinai Health (Toronto, Kanada).

Bei einer genaueren Betrachtung dieser neu entdeckten direkten Eiweiß-Verbindungen (oder "Contaktome") fand das Team Pfade von Verbindungen zwischen viralen Proteinen und infektionsrelevanten menschlichen Genen. So konnten sie beispielsweise Verbindungen zwischen bestimmten SARS-CoV-2-Proteinen und menschlichen Proteinen aufspüren, die von den Bereichen der Gene kodiert werden, die in anderen Studien mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine schwere COVID-19-Erkrankung in Verbindung gebracht wurden. Sie fanden auch Verbindungen zwischen den viralen Proteinen und menschlichen Genen, die unter anderem an Stoffwechselstörungen wie Adipositas und Diabetes beteiligt sind.

„Wir wissen bereits, dass genetische Unterschiede beim Menschen eine wesentliche Rolle bei Verlauf und Schwere einer COVID-19-Erkrankung haben“, sagt Pascal Falter-Braun, und ergänzt weiter: „Dank der Identifizierung der molekularen Kontaktpunkte ist es nun möglich, die zugrundeliegenden Mechanismen detaillierter zu untersuchen.“

Erste Erkenntnisse zeigen, dass wichtige Entzündungssignalwege direkt durch das Virus aktiviert werden. Diese Kontakte könnten dazu beitragen, die überschießende Entzündungsreaktion zu erklären, die bei schweren Fällen von COVID-19 eine große Rolle spielt.

Die Protein-Protein-Kontakte haben aber nicht nur Auswirkungen auf die menschlichen Zellen und das menschliche Immunsystem. Bestimmte Verbindungen beeinflussen auch weitreichend SARS-CoV-2, etwa die Vermehrung des Virus.

Laut Falter-Braun kann man sich die Interaktion von Virus und menschlicher Zelle wie den Besuch des Virus in einem Restaurant vorstellen: Der Gast – das Virus – hat zunächst nur Kontakt mit dem Kellner. Aber dann geht der Kellner in die Küche, gibt die Bestellung an den Koch weiter, und das Virus bekommt wieder eine Antwort, in diesem Fall das Essen, das wiederum auf das Virus wirkt. Je nachdem, welche Proteine in der menschlichen Zelle – heißt: Kellner, Koch, Küchenhilfen, und andere – auf welche Proteine des Virus treffen, kann die Infektion und Immunreaktion ganz unterschiedlich ausfallen.

„Wegen dieser gegenseitigen Beeinflussung der Protein-Protein-Verbindungen gibt es in unserer systematischen Kontaktkarte eine Reihe potenzieller neuer Zielstrukturen für Medikamente“, sagt Falter-Braun. Eine erste Substanz konnten die Wissenschaftler bereits in ihrer Wirkung bestätigen: Das menschliche Protein USP25 wird rekrutiert, um bestimmte virale Prozesse zu fördern und seine Hemmung wiederum reduziert die Vermehrung des Virus deutlich.

"Viele der Technologien und Kooperationen in dieser Studie wurden eigentlich für andere Zwecke entwickelt und dann schnell auf die COVID-19-Pandemie umgestellt. Das unterstreicht den Wert von Investitionen in die Grundlagenforschung", sagt Dr. Dae-Kyum Kim, einer der Hauptautoren, der diese Arbeit am Sinai Health (Toronto) begann und sie als Assistenzprofessor am Roswell Park Comprehensive Cancer Center fortsetzte. Dazu mussten die Wissenschaftler:innen zunächst einigen Aufwand betreiben und neueste Technologie einsetzen, denn das Erstellen der Kontaktkarte war für das internationale Team phasenweise wie das Lösen eines riesigen Puzzles: Die Wissenschaftler:innen haben systematisch die Reaktionen von rund 30 viralen Proteinen – darunter das bekannte Spike-Protein – mit jeweils etwa 17.500 menschlichen Proteinen in sogenannten Assays untersucht und dargestellt. Das ergibt rund 450.000 Kombinationen, die sie untersucht haben. Von Hand hätten sie das niemals in der kurzen Zeit geschafft. „Wir haben beim Präparieren der einzelnen Platten mit jeweils mehreren Assays auf Robotik zurückgegriffen, so dass jeweils eine Proteinart mit einer anderen automatisch gepaart wurde. Und die erste Auswertung, ob Interaktionen vorliegen oder nicht, haben wir von einem Computerprogramm mit künstlicher Intelligenz durchführen lassen“, so Falter-Braun.

Ein solches Mammut-Projekt erforderte eine Teamleistung: "Von molekularbiologischen Methoden über die computergestützte Analyse von Netzwerken und Proteinbereichen bis hin zu Fachkenntnissen in Virologie und angeborener Immunität haben wir interdisziplinär zusammengearbeitet", sagt Falter-Braun. "Unser Fachwissen in der Virus-Wirt-Interaktomik in Verbindung mit der Biologie von RNA-Viren ermöglichte es, die Abhängigkeit des Virus von direkten Wirtspartnern zu bewerten", ergänzt Caroline Demeret vom Institut Pasteur.

Der Aufwand, so glauben die Forscher:innen, hat sich gelohnt: Die Kontaktkarte soll der wissenschaftlichen Gemeinschaft als Plattform dienen, um einzelne Interaktionen eingehender zu untersuchen und ihre Auswirkungen auf molekulare Mechanismen und den klinischen Verlauf zu verstehen und so Ansatzpunkte für neue therapeutische Möglichkeiten aufzudecken.

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