Wenn Eizellen zu viele Chromosomen haben
Viele Erkrankungen und Fehlentwicklungen des Menschen haben ihre Wurzeln in dessen evolutionärer Geschichte. Die meisten Tiere und Pflanzen setzen bei der Fortpflanzung auf eine bewährte Strategie: Sie kombinieren ihr Erbgut neu und halten dabei dessen Gesamtmenge konstant. Dieses Ziel lässt sich auf verschiedenen Wegen erreichen. Einer davon (Automixis) war bislang nur bei Insekten bekannt, doch Wissenschaftler vom Biozentrum der Uni Würzburg haben ihn jetzt erstmals auch bei Wirbeltieren nachgewiesen. Damit können sie unter anderem eine häufige Ursache für Defekte bei menschlichen Embryonen erklären, wie sie berichten.
"Beim Menschen haben etwa zwei Prozent aller befruchteten Eizellen nicht den doppelten Chromosomensatz, sondern einen dreifachen, also insgesamt 69 Chromosomen", sagt Professor Manfred Schartl vom Biozentrum. Solche Embryonen sind nicht lebensfähig und sterben im ersten Drittel der Schwangerschaft ab. Was für Menschen problematisch ist, stecken andere Lebewesen locker weg. Frösche, Lurche und Fische etwa können mit abweichenden Chromosomenzahlen gut leben. Das trifft auch auf den Amazonenkärpfling zu, einen Süßwasserbewohner aus Mexiko: Von ihm gibt es in der Natur Exemplare mit doppeltem, aber auch mit dreifachem Chromosomensatz. Wie es bei dem Fisch zu dieser Unregelmäßigkeit kommt, wollten Schartl und sein Team aus der Physiologischen Chemie gemeinsam mit Kollegen der Humangenetik herausfinden.
Bei den Amazonenkärpflingen gibt es nur Weibchen. Ihre Eizellen können sich direkt zu einem Fisch entwickeln, ganz ohne zusätzliches Erbmaterial aus einem Spermium. Denn bei dem mexikanischen Fisch ist die Jungfernzeugung die Regel. Davon sprechen Biologen, wenn ein Weibchen auch ohne Befruchtung Junge bekommen kann. Damit sich aus den Eizellen Embryonen entwickeln können, müssen zwar noch Spermien ins Spiel kommen. Diese "stehlen" die Amazonenkärpflinge von Männchen einer nahe verwandten Art, indem sie diese zur Kopulation verführen. Die Spermien aber geben dem Ei nur einen rein mechanischen Anstoß zur Weiterentwicklung; das männliche Erbgut findet keinen Eingang in den Embryo. Die dabei entstehenden Töchter haben all ihre Chromosomen von der Mutter, mit der sie folglich genetisch identisch sind.
Der Amazonenkärpfling ist im Verlauf der Evolution entstanden, als sich zwei andere Kärpflingsarten kreuzten. Dieses Ereignis spielten die Würzburger im Labor nach. Die Kreuzung ergab Fische mit doppeltem Chromosomenbestand. Unter deren Nachkommen wiederum fanden sich aber auch Tiere mit dreifachem Chromosomensatz. Wie es dazu kommen konnte, verfolgten die Forscher nun mit molekulargenetischen Methoden zurück.
Wie sie in Current Biology schreiben, tritt bei den untersuchten Fischen die so genannte Automixis auf, die bislang nur von Insekten bekannt war. Dabei wird die Zahl der Chromosomen nicht in allen entstehenden Eizellen halbiert. Es gibt darum sowohl Eizellen mit einfachem als auch mit doppeltem Chromosomensatz, die dann untereinander wieder verschmelzen. So stehen am Ende des Prozesses auch Eizellen mit dreifachem Chromosomensatz.
Weil die Automixis nun erstmals auch bei Wirbeltieren nachgewiesen wurde, ziehen die Würzburger Wissenschaftler zwei Schlussfolgerungen. Zum Einen vermuten sie, dass dieser Mechanismus auch bei höheren Tieren einschließlich des Menschen dafür sorgt, dass Embryonen mit dreifachem Chromosomensatz entstehen können. Zum Anderen erklärt sich damit auch das spontane Auftreten von Jungfernzeugungen bei manchen Wirbeltieren. Solche Fortpflanzungen ohne Beteiligung von Männchen sind zum Beispiel von Hammerhaien und Waranen bekannt, die lange Zeit isoliert in Zoos gehalten wurden. "Durch Automixis können auch bei Wirbeltieren Eizellen mit doppeltem Chromosomensatz entstehen, die sich dann von alleine zu Embryonen weiterentwickeln", so Schartl.
Originalveröffentlichung: Kathrin P. Lampert, Dunja K. Lamatsch, Petra Fischer, Jörg T. Epplen, Indrajit Nanda, Michael Schmid und Manfred Schartl,; ""Automictic Reproduction in Interspecific Hybrids of Poeciliid Fish", Current Biology 2007.
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