Neuer Wirkmechanismus wegweisend für zukünftige Therapeutika

07.11.2018 - Schweiz

Die Gruppe um Nicolas Thomä am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) hat sich mit der Gruppe um Benjamin Ebert vom Broad Institute des MIT und der Harvard University zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie zeigen, wie Thalidomid-Analoga den Abbau von wesentlich mehr Proteinen induzieren als bisher angenommen. Diese Proteine – Zinkfinger-Transkriptionsfaktoren – spielen bei Krebs und Entwicklungsstörungen eine Rolle, sind jedoch schwierige Wirkstoff-Targets. Die neue Studie legt nahe, dass Thalidomid-Analoga durch rationales Design entwickelt werden können, um diese schwierige Proteinklasse anzusprechen.

Eine «undruggable» Proteingruppe

Die meisten von der FDA zugelassenen niedermolekularen Wirkstoffe hemmen Enzyme – die Proteinmaschinen in der Biologie, die chemische Reaktionen katalysieren. Allerdings handelt es sich bei vielen Proteinen in der Biologie nicht um Enzyme; dennoch spielen sie eine wesentliche Rolle für die Gesundheit und bei der Krankheitsentstehung. Zu ihnen gehören die Transkriptionsfaktoren, die besonders interessante Wirkstoff-Targets sind, denn sie fungieren als Ein-/Ausschalter der Genexpression – also von Prozessen, die Entwicklungsstörungen und Krebs verursachen können, wenn sie falsch ablaufen. Bis vor Kurzem galten Transkriptionsfaktoren als «undruggable»: Für sie konnten keine Wirkstoffe entwickelt werden, da ihnen die katalytisch aktiven Stellen fehlen, an die die Wirkstoffe binden. 2014 stellte man jedoch fest, dass Thalidomid und seine Analoga – wichtige Medikamente gegen multiples Myelom und andere Arten von Blutkrebs – Transkriptionsfaktoren über einen bislang unbekannten Wirkmechanismus inaktivieren. Diese Wirkstoffe hemmten die Funktion ihrer Target-Proteine nicht, sondern rekrutierten sie stattdessen an eine E3-Ubiquitin-Ligase. Diese markiert Proteine als Abfall, sodass sie vom Abfallentsorgungssystem der Zelle beseitigt werden. In ihrer jüngsten Studie untersuchten die Teams von Thomä und Ebert, ob andere Transkriptionsfaktoren von einem ähnlichen Mechanismus abgebaut werden könnten. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Modifikationen von Thalidomid zum Abbau verschiedener Zinkfinger-Transkriptionsfaktoren führen – dies ist ein erster Schritt hin zum Design künftiger Wirkstoffe.

Zinkfinger-Screening im gesamten Proteom

Die Forscher führten diesen neuen Wirkmechanismus auf einen kritischen Zinkfinger in den abgebauten Transkriptionsfaktoren zurück. Ein Zinkfinger ist eine kleine Proteindomäne, die von einem Zinkion zusammengehalten wird. Zinkfingerdomänen fungieren in der Regel als Interaktionsmodule, um DNA, RNA oder andere Proteine zu binden. Beim Menschen finden sich über 800 Proteine, die Zinkfinger enthalten und die zusammen über 6 500 einzelne Zinkfingerdomänen ergeben. Damit handelt es sich um die grösste Klasse mutmasslicher Transkriptionsfaktoren. Nachdem die Forscher festgestellt hatten, dass eine einzige Zinkfingerdomäne ausreichte, um einen bestimmten Transkriptionsfaktor für einen wirkstoffinduzierten Abbau anfällig zu machen, untersuchten sie, ob es noch weitere Beispiele dafür gab. Sie erstellten eine Bibliothek aller bekannten Zinkfingerdomänen des Menschen und verknüpften sie mit einem Proteinstabilität-Fluoreszenzmarker. Dadurch identifizierten sie insgesamt elf Zinkfingermotive, die zum Abbau in Zellen führten. «Elf von 6 500 Zinkfingern war ein guter Anfang», erklärt Georg Petzold, Postdoktorand im Labor von Nicolas Thomä und einer der beiden ersten Autoren der Studie. «Der Proteinabbau ist jedoch ein in mehreren Schritten ablaufender Prozess, und die Rekrutierung an die E3-Ubiquitin-Ligase führt nicht notwendigerweise zum Abbau.» Daher untersuchten die Forscher in vitroden dem Zinkfingerabbau vorangehenden Schritt –die Rekrutierung an die CRL4-CRBN-Ubiquitin-Ligase – und identifizierten 150 weitere Zinkfinger, die an die Ligase binden. «Obwohl diese Zinkfinger in den Zellen nicht abgebaut wurden, waren diese Ergebnisse interessant, weil sie die Zahl der möglichen Targets auf viel mehr als nur die ersten elf erhöhten», erläutert Nicolas Thomä.

Spezifität durch rationales Design?

Überraschenderweise machte ihre strukturelle Analyse deutlich, dass die Spezifität zwischen dem Wirkstoff und einem Zinkfinger von lediglich einer Aminosäure abhängen kann, die einen Seitenkettenkontakt mit dem Wirkstoff bildete. Dies ermöglicht das Design von Wirkstoffen, mit denen verschiedene Zinkfinger als Target angesprochen werden könnten. Um diese Hypothese zu überprüfen, wiederholten die Forscher das Zellscreening mit zwei weiteren neueren Thalidomid-Derivaten und stellten fest, dass diese unterschiedlichen Wirkstoffe bestimmte Gruppen von Zinkfingern abbauten. «Wir identifizierten nicht nur neue Thalidomid-Analoga-Targets, sondern zeigten auch, dass es möglich sein könnte, Wirkstoffe zu entwickeln, die selektiv bestimmte Zinkfinger abbauen», sagt Georg Petzold. «Die Screenings der Zinkfingerbibliothek sind gute Konzepte für das Screening dieser Wirkstoffe. Das Potenzial für die Entwicklung von Wirkstoffen ist enorm!»

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Kampf gegen Krebs: Neueste Entwicklungen und Fortschritte