Defektes Gerüstprotein in Nervenzellen verursacht Autismus

Genvarianten beeinträchtigen Signalweiterleitung zwischen Nervenzellen

12.12.2011 - Deutschland

Können Nervenzellen im Gehirn aufgrund eines genetischen Defekts kein funktionsfähiges Gerüstprotein SHANK2 bilden, ist ihre Kommunikation mit anderen Nervenzellen gestört. Mäuse mit solchen fehlerhaften Proteinen zeigen Verhaltensauffälligkeiten, die autistischen Störungen beim Menschen ähnlich sind. Diesen Zusammenhang haben Wissenschaftler der Abteilung Molekulare Humangenetik des Universitätsklinikums Heidelberg und des Max Planck Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg erstmals nachgewiesen.

2010 hatten die Wissenschaftler um Professor Gudrun Rappold, Leiterin der Abteilung Molekulare Humangenetik, die bis dato unbekannten Veränderungen im genetischen Bauplan (Mutationen) des SHANK2-Proteins bei Patienten mit autistischer Störung oder geistiger Behinderung entdeckt. Im Erbgut von insgesamt 580 Patienten fanden sie zehn verschiedene Mutationen von SHANK2. Drei davon nahmen sie in der aktuellen Arbeit näher unter die Lupe. „Mit unseren Versuchen haben wir erstmals gezeigt, dass diese Mutationen im SHANK2-Gen zu morphologischen Veränderungen in den Nervenzellen führen und bei Mäusen Symptome auslösen können, wie sie in ähnlicher Weise bei autistischen Störungen auftreten“, erklärt Rappold.

Autismus ist eine angeborene Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns, die häufig mit verminderter, selten aber auch überdurchschnittlicher Intelligenz und Spezialbegabungen wie einem fotografischen Gedächtnis einhergeht. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch Sprachdefizite, eingeschränkte soziale Interaktion und stereotype Verhaltensweisen. Darüber hinaus sind autistische Störungen sehr heterogen. Neben den Veränderungen im SHANK2-Gen kennt man bisher nur eine ganz begrenzte Anzahl von weiteren Genmutationen, die diese Erkrankungen auslösen können; die Auswirkungen dieser genetischen Veränderungen auf die Nervenzellen sind noch wenig erforscht.

Mäuse zeigen charakteristische Verhaltensänderungen

Wie sich Nervenzellen ohne funktionsfähiges SHANK 2 verhalten, untersuchten die Heidelberger Wissenschaftler an isolierten Gehirnzellen von Mäusen, in die sie die genetische Information für jeweils eine der drei SHANK 2-Varianten einschleusten. Die Zellen bildeten daraufhin das veränderte, defekte Gerüstprotein – und büßten einen Teil ihrer Fähigkeit ein, sich zu vernetzen: Die Zellen bildeten weniger Kontaktstellen für andere Nervenzellen aus und sind deshalb vermutlich weniger empfänglich für bestimmte Botenstoffe ihrer Nachbarn. „Die Signalübertragung zwischen den einzelnen Neuronen kann deshalb deutlich beeinträchtigt sein“, fasst Rappold zusammen.

Die untersuchten Mutationen unterschieden sich dabei im Ausmaß der durch sie verursachten morphologischen und funktionellen Veränderungen an den Nervenzellen. Das passt zu der Beobachtung, dass es auch Träger von SHANK2-Mutationen gibt, die selbst nicht erkranken und das mutierte Gen aber an ihre Kinder weitergeben. Erst bei diesen treten die charakteristischen Symptome auf. Professor Rappold erklärt das so: „Diese Genvarianten sind ein Risikofaktor. Zu einer autistischen Störung kommt es in diesen Fällen aber erst, wenn noch weitere Risikofaktoren vorliegen.“

Im Gehirn lebender Mäuse führte das veränderte Gerüstprotein zu Verhaltensänderungen: In speziellen Tests zeigten die Tiere z.B. ein geringeres Lernvermögen als unbehandelte Mäuse und weniger Interesse an ihrer Umwelt – vergleichbar mit verschiedenen autistischen Störungen bei Menschen. „Unsere Ergebnisse lassen darauf schließen, dass eine korrekte innere Struktur der Nervenzellen nötig ist für eine normale Entwicklung von Sprache, sozialer Kompetenz und kognitiven Fähigkeiten“, so die Humangenetikerin.

Originalveröffentlichung

Berkel, S., Tang, W., Treviño, M., Vogt, M., Obenhaus HA, Gass, P., Scherer, S. W., Sprengel, R., Schratt, G., Rappold, G. A.: SHANK2 variants associated with autism spectrum disorder impair neuronal morphogenesis and can be linked to physiological effects. Human Molecular Genetics

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