Neues KI-Werkzeug für die Hirntumordiagnostik

Ein Deep-Learning-Algorithmus mit dem sich Hirntumore auf PET-Scans automatisch erkennen und bewerten lassen

02.11.2023
Forschungszentrum Jülich GmbH

Ein Team am Forschungszentrum Jülich hat einen Deep-Learning-Algorithmus entwickelt, mit dem sich Hirntumore auf PET-Scans automatisch erkennen und bewerten lassen. In einem Bruchteil der Zeit erzielt die KI dabei vergleichbare Ergebnisse wie ein erfahrener Arzt, berichtet das Team im Journal of Nuclear Medicine.

Bei der Erstdiagnose und während der Behandlung ist es wichtig, die Ausdehnung und das Volumen eines Gehirntumors möglichst genau zu bestimmen. Kann der Tumor operiert werden? Spricht er auf die Behandlung an oder wächst er weiter? Die Methode der Wahl ist zunächst die Magnetresonanztomographie (MRT), da sie Strukturveränderungen präzise erfasst. Strukturelle Auffälligkeiten spiegeln jedoch nicht unbedingt das tatsächliche Ausmaß des Tumors wider. In vielen Fällen liefert eine Variante der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) vom MRT abweichende Ergebnisse, wie Studien gezeigt haben. Die PET-Scans hinsichtlich der Tumorausdehnung auszuwerten, kostet jedoch viel Zeit, weshalb dies in der Klinik routinemäßig kaum durchgeführt wird. Das Team um Studienleiter Philipp Lohmann vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-4) am Forschungszentrum Jülich hat nun einen neuen Deep-Learning-Algorithmus entwickelt, der Tumore in den PET-Daten automatisch detektiert und ihr Volumen bestimmt. Die Analyse gelingt dadurch viel schneller bei gleichbleibender Qualität der Ergebnisse. „Das von uns entwickelte KI-Werkzeug könnte Mediziner dabei unterstützen, wichtige diagnostische Informationen zu erhalten, die bisher nur selten vorliegen“, sagt Lohmann.

Die PET verwendet radioaktiv markierte Biomoleküle, um bestimmte Stoffwechselprozesse sichtbar zu machen. Für die Darstellung von Hirntumoren haben sich besonders radioaktiv markierte Aminosäuren bewährt. Die rasch wachsenden Krebszellen nehmen die Aminosäuren deutlich schneller auf als die gesunden Gehirnzellen. „Auf den PET-Aufnahmen kann man schließlich anhand der angereicherten Aminosäuren oft eine andere oder größere Tumorausdehnung feststellen als mit MRT“, erklärt Lohmann. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang vom sogenannten metabolischen Tumorvolumen, weil die Messmethode auf Stoffwechselprozessen der Zellen beruht. Bei der Auswertung muss ein Arzt allerdings auf einigen Dutzend Schichtbildern eines PET-Scans die Tumorumrisse ermitteln. „Das kostet viel Zeit, weshalb die Methode, trotz ihrer hohen Aussagekraft, in der klinischen Praxis selten durchgeführt wird“, weiß Lohmann.

Um das zu ändern, entwickelten die Forschenden aus Jülich, Heidelberg und Köln einen Deep-Learning-Algorithmus, genannt „JuST BrainPET“ (Juelich Segmentation Tool for Brain Tumor PET), der Aminosäure-PET-Bilder vollautomatisch im Hinblick auf das metabolische Tumorvolumen auswertet. Der Algorithmus wurde mittels 476 PET-Datensätzen trainiert und anschließend an 223 getestet, die alle im Rahmen einer Erstdiagnose oder während Nachuntersuchungen von insgesamt 555 Hirntumorpatienten entstanden waren. Die zugehörigen Informationen über das Tumorvolumen stammten aus den Analysen erfahrener Nuklearmediziner.

„Unsere KI hat gelernt, den Tumor auch von anderen Strukturen zu unterscheiden, die aus physiologischen Gründen die Aminosäuren ebenfalls vermehrt aufnehmen – etwa Gefäße oder Muskelgewebe“, sagt Robin Gutsche, Doktorand am INM-4 und Erstautor der Studie, der maßgeblich an der Entwicklung des KI-Algorithmus beteiligt war. „Das funktioniert selbst dann, wenn die Tumoren unmittelbar an diese Strukturen angrenzen.“ Innerhalb weniger Minuten detektiert der Algorithmus den Tumor und bestimmt das metabolische Tumorvolumen. Die Ergebnisse stimmen dabei sehr gut mit den von den Experten ermittelten Werten überein.

Den klinischen Nutzen des Algorithmus überprüften die Forschenden zusätzlich, indem sie ihn den Behandlungserfolg einer Chemotherapie bei Patienten mit Gliomen beurteilen ließen. „Hier ging es etwa darum, folgende Fragen zu beantworten: Wie gut spricht ein Patient auf eine Therapie an, oder wie ist seine Prognose?“ so Lohmann. „Wir konnten zeigen, dass die KI die klinische Bewertung genauso gut wie ein Facharzt erledigt – jedoch in einem Bruchteil der Zeit.“ Die KI solle den Arzt jedoch nicht ersetzen, sondern unterstützen, betont er.

Des Weiteren könnte der neue KI-Ansatz dazu dienen, die Auswertung der PET-Messungen besser zu standardisieren, um die Ergebnisse zwischen verschiedenen Kliniken und Institutionen vergleichbarer zu machen. „Wir hoffen, dass unser Algorithmus die behandelnden Ärzte in den neuroonkologischen Zentren ermutigt, die Aminosäure-PET bei ihren Patienten häufiger einzusetzen – auch wenn sie wenig Erfahrung mit der Methode haben“, sagt Lohmann. JuST_BrainPET steht kostenlos auf der Plattform Github zur Verfügung.

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