Europäische Kyroforschungsbank eurocryo eingeweiht

15.09.2003

Mit eurocryo nimmt das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT nach dem Zentrum für Kryobiotechnologie und Kryobiophysik eine zweite Einheit in Betrieb. Sie dient dazu, eine Technologieplattform zu entwickeln, die den Anforderungen der zukünftigen Biotechnologie entspricht.

Das Einfrieren und Lagern von Zellsuspensionen und kleinsten Gewebeteilen bei Temperaturen unter -130 °C ist gegenwärtig die einzige Möglichkeit, um biologisches Material über Jahre bis zu Jahrzehnten ohne Einbuße der Lebensfähigkeit aufzubewahren. Die Biowissenschaften, die Medizin und die aufstrebende Biotechnologie benötigen die Depothaltung, Verfügbarkeit und den Versand von Lebendproben zu beliebigen Zeitpunkten und an nahezu jeden Ort.

Die Fraunhofer-Gesellschaft in Partnerschaft mit der Landesregierung des Saarlands über das Ministerium für Wirtschaft sowie das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft hat diese interdisziplinäre Forschungs- und Technologieaufgabe früher als andere erkannt und bereits vor zwei Jahren eine gemeinsame Initiative zur Entwicklung der Kryobiotechnologie gestartet. Die nunmehr fertiggestellte Kryobank ist ein Teil dieser Initiative und so dimensioniert, dass sie den modernsten Anforderungen der Lebendlagerung von Zellproben, wie sie von der zukünftigen Biotechnologie und Medizin, aber auch von der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gestellt werden, gerecht wird. Die zentraleuropäische Lage im Saarland macht die Forschungsbank zu einem Attraktor und Partner über die Landesgrenzen hinaus.

Zielsetzung Aufgabe der Europäischen Kryoforschungsbank ist es, wertvolle und einzigartige Zellsammlungen (Bioressourcen) aus den verschiedensten Bereichen der Biowissenschaften anzulegen. Die Lebendablage von Zellsuspensionen erlaubt eine Vermehrung zu jedem späteren Zeitpunkt, insbesondere aber retrospektive Untersuchung von Proben. Selbst nach Jahrzehnten kann damit nach Genen, Makromolekülen, Krankheiten, Erregern, Verunreinigungen und mehr gesucht werden, für die heute weder Methoden noch Kenntnisse existieren.

Auch in der Medizin wird in Zukunft der Bedarf an patienteneigenen Zellproben wachsen, die später bei einer Zelltherapie zum Einsatz kommen sollen. Die Anlage einer Zellbank ist somit die umfangreichste, man kann sagen, vollständige Dokumentation der Eigenschaften einer Bioprobe. Dem Auftrag der Fraunhofer-Gesellschaft für die Angewandte Forschung entsprechend ist die wichtigste Aufgabe der Bank die Erprobung und Evaluierung neuer kryotechnologischer Ansätze, Methoden und die Umsetzung einer weitgehenden Automatisierung und Standardisierung aller Kryosysteme für die Forschung als auch für die Wirtschaft.

Kryokonservierung "Kryos" kommt aus dem Griechischen und steht für "Kälte" oder "Eis". Bei Temperaturen unter -130 °C stellen die Zellen aller Organismen, ob vereinzelt oder im Gewebe, ihre Stoffwechselvorgänge gänzlich ein. Dies bedeutet, dass Prozesse, wie Alterung, Zellwachstum oder -teilung für die Dauer dieser "Unterkühlung" angehalten werden. Auf diese Weise sind biologische Proben über Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte in unveränderter Form für die Nachwelt verfügbar, d.h. unter Aufrechterhaltung der Vitalität kryokonserviert. Abgesehen von einigen winzigen Tierchen, wie Würmern und Bodenarthropoden, lassen sich Säuger und auch Menschen nicht lebend kryokonservieren. Physikalisch-chemische Randbedingungen des Wärmeaustauschs und die Infiltrationslimitierung von Gefrierschutzmitteln in die Zellen lassen dies auch in Zukunft nicht sehr wahrscheinlich erscheinen. In der Kryoforschungsbank in Sulzbach werden daher Zellsuspensionen, kleine Gewebestücke und Biohybride (d.h. technische Systeme, die mit Zellen bewachsen sind, z.B. Biosensoren) eingefroren.

Noch sind nicht alle Prozesse beim Übergang der Zellen in den Zustand eines Festkörpers ausreichend untersucht und verstanden. So lassen sich gerade die für die Genetik so wichtigen Eier der Fruchtfliege nur sehr bedingt kryokonservieren. Vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung BMBF geförderte Projekte werden daher intensiv in dem bereits etablierten und angegliederten Zentrum für Kryobiotechnologie und Kryobiophysik untersucht. Der Vorteil: Die Grundlagenerkenntnisse fließen sofort in die praktische Umsetzung ein.

Kryohalle Auf mehr als 1 200 Quadratmetern werden Kryolagertanks mit einem Nettovolumen von jeweils bis zu 1 400 Litern installiert. Die Kryobankanlage trägt den Charakter einer Demonstrationsbank für neue Technologien, insbesondere für industrielle Nutzer. Das Besondere und Kernstück dieser Kryotchnologie sind neue Substrate zur Ablage der Bioproben. Mit Hilfe dieser Lagersubstrate wird die Anzahl der möglichen Kryoproben in einem ersten Miniaturisierungsschritt bereits um den Faktor 10 bis 100 erhöht.

Die Miniaturisierung eröffnet den unterschiedlichsten Forschungs- und Wirtschaftszweigen, wie der Lebensmitteltechnologie, der Medizin, aber auch dem Verbraucher- und Umweltschutz sowie den Biotechnologien, durch die damit verbundene Lagerkapazitätssteigerung, höhere Probenablagen, neue inhaltliche Möglichkeiten, kostengünstigere Lagerung und mehr Sicherheit.

Die gesamte Kryoanlage wird etappenweise automatisiert und ist elektronisch überwacht. Die Temperatur in den Behältern wird ebenso lückenlos protokolliert wie der Zugang zu den Behältern selbst. Moderne Datenbankkonzepte werden gegenwärtig entwickelt und erprobt. Evolutive Konzepte mit sich selbst optimierenden Algorithmen bieten neue Arbeitsfelder für Bioinformatiker.

Kryolaboratorien In unmittelbarer Nähe zum Lagerraum der Kryobank wurden moderne Kryo- und Zelllaboratorien installiert. In diesen können Zellproben bearbeitet und charakterisiert werden. Gleichzeitig steht partiell Laborraum für Fremdnutzer zur Verfügung, die ihre Proben mit der neuen Technologie ablegen und testen wollen. Sterilität und hoher medizinischer Standard sind Voraussetzungen für eine zertifizierte Arbeitsweise. Für kryobiologische und technische Probleme steht das Zentrum für Kryobiotechnologie und Kryobiophysik am IBMT zur Verfügung.

Um eine Verwechslungssicherheit der Proben zu garantieren, wird eine elektronische Speichereinheit zusammen mit den Proben eingelagert. Die Speichereinheit enthält alle Daten, die für den Umgang und die spätere Verwendung der Probe wichtig sind. Z.B. können Analysedaten, Mikroskopaufnahmen oder Befunde, Datenformate sowie die Rechtslage direkt an der Probe hinterlegt werden. Nur so kann das erwartete enorme Probenaufkommen aus der Medizin und Biotechnologie bewältigt werden. Proben lassen sich weltweit verschicken und ohne Informationsverlust nutzen.

Forscher des Fraunhofer IBMT beschäftigen sich parallel zur Kryobiologie und Kryomedizin mit der Adaptierung von elektronischen Bauelementen bis hin zu Memory-Chips an den Temperaturbereich von +50 °C bis -180 °C. Die Ergebnisse der in diesem Bereich arbeitenden aktiven Bauelemente sind auch für andere Bereiche - etwa der Raumfahrt - von Bedeutung. Die Kryobiotechnologie ist damit eines der interdisziplinärsten Felder der Biowissenschaften / Biotechnologie überhaupt, da sie Prozesse von der Molekularbiologie bis zur Tieftemperaturphysik und Informatik umfasst.

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