Tissue Engineering: Erstmals Transplantation eines gezüchteten Eigengewebes in Luftröhre

08.09.2003
Hannover (dpa) - Ärzte in Hannover haben nach eigenen Angaben weltweit erstmals einem Patienten gezüchtetes Eigengewebe in seine beschädigte Luftröhre transplantiert. «Zwei Monate nach dem Eingriff kann der Mann wieder normal sprechen», sagt der Chefarzt der Klinik für Thorax- und Gefäßchirurgie im Klinikum Hannover Heidehaus, Paolo Macchiarini. Der Patient Ernst Fromhagen lacht, seine Stimme klingt fest. «Nun gut, Berge werde ich wohl nicht mehr besteigen, aber ich fahre Fahrrad und gehe jeden Tag auf die Jagd», sagt der 58-Jährige. Noch vor zwei Monaten sah das Leben des Lungenkrebspatienten anders aus. «Ich war kaputt: Ich konnte nicht sprechen, bekam nur schlecht Luft und hing am Sauerstoffgerät.» Nach zwei Operationen und Komplikationen hätte der Patient nur mit starken Einschränkungen weiterleben können. Die Ärzte der Klinik entschieden sich für einen Eingriff, den es nach ihren Angaben vom Donnerstag weltweit noch nie gab: Sie implantierten dem schwer kranken Mann gezüchtetes Eigengewebe in die Luftröhre und flickten ein Loch darin. «Der Patient hatte ein zwei mal zweieinhalb Zentimeter großes Loch in der Luftröhre und zwei Löcher in der Brustwand», sagt Macchiarini. Die Heilungschancen seien sehr gering gewesen. Sein Team habe sich zu der Implantation entschlossen, weil alle Alternativen sehr riskant und nur wenig Erfolg versprechend gewesen wären, sagt der Arzt. Eine gemeinsame Forschungsgruppe aus Ärzten und Naturwissenschaftlern der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) habe seit mehreren Jahren an der neuen Methode geforscht. Bei Ernst Fromhagen kam sie vor rund zwei Monaten zum Einsatz. Dem Patienten wurden nach Angaben der Ärzte Muskelzellen entnommen, die in den Luftwegen vorkommen. Diese seien auf einer biologischen Trägerstruktur aus Schweinedünndarm angesiedelt und gezüchtet worden (Tissue Engineering). Vorher wurden alle Tierzellen durch chemische und molekularbiologische Verfahren entfernt, wie Macchiarini erklärt. Während der vierwöchigen Kulturzeit habe sich aus den Patientenzellen das Eigengewebe entwickelt. In einer mehrstündigen Operation wurde das Stück eingepflanzt. «Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass es nach Implantation des gezüchteten Luftröhrensegments aus Eigengewebe zu keiner Abstoßreaktion des Körpers kommt», sagt der Chefarzt. Sechs Tage nach der Operation hätten die Mediziner auf der inneren Schicht des Transplantats eigenes Zellwachstum festgestellt, das im weiteren Verlauf zum «Zusammenwachsen» von eigener Luftröhre und Transplantat führte. Der Mann müsse keine Medikamente nehmen. Das Verfahren sei für Patienten geeignet, deren Luftröhre zu mehr als 50 Prozent erkrankt sei, sagt Macchiarini. Maßnahmen wie ein Luftröhrenschnitt und Einlage einer am Hals sichtbaren Kanüle oder eines Stents würden nach dem Eingriff überflüssig. Das Verfahren stehe aber erst am Anfang. «Ich kann mir vorstellen, dass wir in etwa zwei Jahren nach weiterer Forschung eine komplette Luftröhre aus Eigengewebe züchten und transplantieren können.» Vorstellbar sei auch, eine Speiseröhre und einige Gefäße im Brustkorb durch diese Methode ersetzen zu können.

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