Direktschaltung im Fruchtfliegenhirn: STOPP, diese Nahrung ist verdorben
Auch Fliegenweibchen legen ihre Eier nicht auf verdorbener, nach Geosmin riechender Nahrung ab. Einmal im Hirn der Fliegen wahrgenommen, schaltet Geosmin alle anderen, vor allem auch anlockende Reize aus, damit die Tiere nicht doch noch in Versuchung geraten – ähnlich unserer Reaktion, wenn wir den Kühlschrank öffnen und dieser nach dem vergessenen Abendessen der letzten Woche riecht.
Geosmin und das Modell Fruchtfliege
Fliegen ernähren sich typischerweise von Hefepilzen, die auf verdorbenen Früchten oder Obst wachsen. Deswegen müssen sie „gute“ von „schlechten“ Mikroben genau unterscheiden können. Experimente zeigten, dass Fliegen, die stark verdorbene Nahrung aßen, weil sie zu einer solchen Einschätzung nicht fähig waren, schnell starben, ebenso starben auch aus Fliegeneiern frisch geschlüpfte Larven, sobald sie toxische Mikroben zu sich nahmen. Der Geruchsstoff Geosmin, so ist bekannt, wird von einer Reihe von Toxin bildenden Pilzen und Bakterien abgegeben und könnte der Auslöser für abschreckende Reaktionen sein. Geosmin hat den uns Menschen bekannten Geruch, der bei nassen Böden besonders nach Trockenheit auftritt. Die menschliche Nase reagiert auf Geosmin sehr sensibel; die Schwelle liegt bei 0,1 ppb (parts per billion, also ein Molekül innerhalb von 100 Millionen Teilchen wird schon wahrgenommen). Die Max-Planck-Wissenschaftler fanden jetzt heraus, dass Fruchtfliegen eine sogar noch empfindlichere Antenne für Geosmin haben.
„Wir begannen mit elektrophysiologischen Experimenten und untersuchten nacheinander sämtliche sensorische Neuronen – das waren über 1000 Messungen“, so Marcus Stensmyr, Erstautor der Studie. Hier stellte sich bereits das erste, unerwartete Ergebnis ein: Nur ein Neuron mit der Bezeichnung „ab4B“ reagierte auf Geosmin. Dieser Nerv besitzt den speziellen Rezeptor Or56a, der ausschließlich auf Geosmin anspricht. Die Geruchsspezifität konnte durch Messungen an Einzelneuronen, kombiniert mit Gaschromatographie, bestätigt werden; dabei wurden über 3000 verschiedene Gerüche überprüft. Auch die Spezifität des Rezeptors konnte durch den Einsatz von Zellkulturen, die dieses Protein bildeten, bewiesen werden.
Es folgten bildgebende Untersuchungen am Gehirn der Fliege, die wiederum ein interessantes Ergebnis lieferten: Von den rund 50 Glomeruli, kugeligen Verschaltungseinheiten, die das Riechzentrum der Tiere ausmachen, reagierte nur einer, bezeichnet als DA2, auf Geosmin. Er befindet sich in derselben Region wie diejenigen Glomeruli, die eher abschreckendes Verhalten hervorrufen. Nachfolgend wird der Reiz aus dem DA2 Glomerulus interessanterweise von nur einem spezifischen Typ sogenannter Projektionsneuronen (PNs) verarbeitet, welche die Geosmin-Botschaft in übergeordnete Hirnbereiche weiterleiten.
Im Allgemeinen vernetzen PNs verschiedene Glomeruli und verwerten so simultan unterschiedliche Geruchsinformationen, die entsprechend interpretiert das Verhalten des Tieres steuern. „Im Falle von Geosmin, Or56a, DA2 und den dazugehörigen PNs ist es jedoch ganz anders“, erläutert Bill Hansson, Leiter der Studie. In diesem speziellen Schaltkreis löst die durch Geosmin vermittelte Botschaft ohne Umwege von der Antenne direkt ein bestimmtes Verhalten aus. Ähnliche Verschaltungsmuster waren, wenn überhaupt vergleichbar, bislang nur bei der Reaktion auf Sexuallockstoffe (Pheromone) gemessen worden, so der Wissenschaftler. Es ist das erste Mal, dass nun ein solches Durchschaltmuster auch im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme festgestellt werden konnte.
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