Machen Bakterien dick?

Preisträgerin Maria Luisa Balmer sucht Antworten

19.10.2023
Sina Lou Ravasio, Schweizerischer Nationalfonds

Maria Luisa Balmer gewinnt den Marie Heim-Vögtlin-Preis 2023

Die diesjährige Gewinnerin des Marie Heim-Vögtlin Preises ist Maria Luisa Balmer. Der SNF verleiht ihr den Preis für ihre Forschung über Darmbakterien und deren Rolle bei der Entstehung von Diabetes und krankhaftem Übergewicht.

In der Schweiz ist rund jedes sechste Kind übergewichtig – Tendenz steigend. Das ist bedenklich, denn starkes Übergewicht erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes. «Schon seit längerem weiss man, dass bei der Entstehung von Übergewicht die Darmflora eine wichtige Rolle spielt», sagt Maria Luisa Balmer, Fachärztin für Innere Medizin am Inselspital und Forschungsgruppenleiterin an der Universität Bern. Doch dieser Zusammenhang ist komplex. In ihrer Forschung untersucht Balmer wie Darmbakterien, deren Stoffwechselprodukte und das Immunsystem zusammenspielen.

Für ihre Forschungsarbeit erhält sie vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) den Marie Heim-Vögtlin-Preis 2023. Die Preisverleihung findet am 21. November an der Universität Bern statt.

Aufgespürt: dickmachende Bakterien

Was man bereits weiss: Krankhaft übergewichtige Menschen haben meist eine andere Darmflora als schlanke, gesunde Personen. So wachsen bei ihnen bestimmte Bakterienarten sehr stark und verdrängen andere. Doch was bedeutet das? Und ist die veränderte Darmflora Ursache oder Folge des Übergewichts? Diese Fragen untersucht die Forscherin unter anderem mit keimfreien Mäusen, die an der Universität Bern in einer weltweit einzigartigen Anlage gezüchtet werden. «An diesen Tieren können wir den Einfluss einzelner Bakterienarten untersuchen und Ursache-Wirkung-Beziehungen aufklären», erklärt Balmer.

Auf diese Weise konnte ihr Team tatsächlich fünf Bakterienarten identifizieren, die die Mäuse anfälliger für Übergewicht machten. Im nächsten Schritt will das Team analysieren, wie dieser Einfluss zustande kommt – etwa, welche bakteriellen Stoffwechselprodukte zum dickmachenden Effekt beitragen und wie diese das Immunsystem beeinflussen.

In einer Vorgängerstudie hatte Balmer bereits gezeigt, dass das Stoffwechselprodukt Acetat eine positive Auswirkung auf Immunzellen hat. Damit verdeutlichte die Forscherin die Verbindung zwischen der Ernährung, der Darmflora und dem Immunsystem. Denn Acetat entsteht unter anderem wenn Bakterien im Darm Nahrungsfasern, wie sie in Gemüse oder Vollkornprodukten enthalten sind, verstoffwechseln.

Mit Kaugummi die Gesundheit fördern

Den Einfluss von Nahrungsfasern untersucht Balmers Forschungsgruppe zurzeit näher in einer klinischen Studie mit über 100 stark übergewichtigen Kindern. Dafür hat das Team einen Kaugummi entwickelt, der mit wasserlöslichen Nahrungsfasern angereichert ist – eine komplett neue Idee. Der Clou: Der «FibreGum» wird von den Kindern nicht als Medizin wahrgenommen. Er schmeckt nach Minze wie ein normaler Kaugummi. Quasi unbemerkt soll er den Darmstoffwechsel der Kinder fördern und ihnen gleichzeitig helfen, das Naschen anderer Süssigkeiten zu reduzieren. «Gerade für Kinder brauchen wir niederschwellige Behandlungen», sagt Balmer. Mit der Studie will sie feststellen, ob die mit dem FibreGum eingenommenen Nahrungsfasern tatsächlich die Darmflora verbessern – und letztlich, ob die Kinder dadurch einfacher abnehmen.

Karrierebilder: «Es braucht ein Umdenken»

Für ihre Forschung war die Medizinerin 2020 bereits mit einer SNF Eccellenza-Fellowship ausgezeichnet worden. Jetzt den Marie Heim-Vögtlin-Preis zu erhalten, bedeute für sie eine riesige Anerkennung. Aber nicht nur: Sie sieht den Preis auch als Möglichkeit, sichtbar zu sein als Forscherin, die zugleich auch Ärztin und Familienfrau ist. «Was das angeht, braucht es in unserer Gesellschaft dringend ein Umdenken», betont Balmer. «Wir müssen unsere althergebrachten Rollenbilder von Gruppenleitern und Gruppenleiterinnen an den Hochschulen anpassen.» Denn für berufstätige Paare sei die Messlatte utopisch hoch – nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter. «Mir ist es wichtig vorzuleben, dass man auch mit Familie oder zeitintensiven Hobbys spannende Forschung betreiben und erfolgreich sein kann – wenn man Menschen hat, die einen unterstützen.»

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