Dass der Kopf oberhalb des Halses sitzt und die
Nase vorn im Gesicht - das erscheint uns selbstverständlich. Wenn man aber die molekularen Vorgänge betrachtet, die dazu führen, wo in einem wachsenden Organismus "oben" und "unten", "vorn" und "hinten" ist, dann wird daraus ein komplexes Problem. Zur Lösung des Problems muss man sich auf die Ebene der
Zellen bewegen, die selbst hochgradig polarisiert sind. Einen wichtigen Schritt zum Verstehen der Vorgänge haben jetzt Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen gefunden. Die Forschergruppe am Göttinger DFG-Forschungszentrum Molekularphysiologie des Gehirns (
CMPB) hat die molekularen Mechanismen erforscht, die zur Polarisierung neuronaler
Stammzellen der Fruchtfliege führen.
Mit ihren Untersuchungen setzten sie bei einem bekannten Phänomen an: Die asymmetrische
Zellteilung befähigt eine Stammzelle zur
Bildung von zwei Tochterzellen mit unterschiedlichen Zell-Schicksalen. Eine Tochterzelle kann sich z.B. zu einer
Knochen-,
Blut- oder Nervenzelle entwickeln, wohingegen die zweite ihre eigene Identität als Stammzelle behält und sich weiterhin teilen kann. Eine wesentliche Voraussetzung für solch eine asymmetrische Zellteilung ist die "Polarisierung" der Stammzelle. Dafür müssen sich bestimmte
Proteine schon vor der Teilung in der einen oder der anderen Hälfte der sich teilenden Zelle gruppieren.
Die Göttinger Wissenschaftler können nun zeigen, welche molekularen Mechanismen die Anreicherung des für die Polarisierung der Stammzelle essentiellen
proteins Bazooka an einem bestimmten Pol der Zelle steuern. "Wir konnten außerdem beobachten, dass eine Störung dieser Abläufe direkte Auswirkungen auf die
Polarität der Stammzelle hat", sagt Prof. Dr. Andreas Wodarz, Leiter der Studie und Direktor der Abteilung Stammzellbiologie an der Universitätsmedizin Göttingen. Störungen der
Zellpolarität und asymmetrischen Zellteilung können zu schwerwiegenden Erkrankungen führen und werden z.B. mit der Entstehung von
Krebs in Zusammenhang gebracht.
Einige der
Proteine, die beim Prozess der Polarisierung in den neuronalen
Stammzellen der Fruchtfliege eine Rolle spielen, sind bereits bekannt: Das Bazooka Protein ist eines der wichtigsten. Es konzentriert sich vor der Teilung in einem Komplex mit zwei weiteren Proteinen namens PAR-6 und aPKC nur auf der einen, der nach oben gerichteten (apikalen) Seite der Zelle. Proteine wie Numb oder Miranda hingegen gruppieren sich auf der gegenüberliegenden, nach unten gerichteten (basalen) Zellseite. Das Protein Bazooka gelangt infolgedessen nur in eine der entstehenden Tochterzellen, und zwar in diejenige, die ihre Identität als Stammzelle behält.
Prof. Wodarz und sein Team haben nun untersucht, welche Faktoren zu dieser asymmetrischen Verteilung von Bazooka beitragen. "Es ist bekannt, dass Bazooka von einem anderen Protein namens PAR-1 an zwei Stellen phosphoryliert wird. Doch ob dieser Vorgang für die eindeutige Ausrichtung des Proteins Bazooka bedeutsam ist, war ungeklärt", sagt der am Forschungsprojekt maßgeblich beteiligte Nachwuchswissenschaftler Dr. Michael Krahn. "Wir haben nun gefunden, dass Protein Phosphatase 2A (PP2A) direkt an Bazooka bindet und die von PAR-1 angehängten
Phosphate an einer Stelle entfernt. PP2A ist also ein direkter Antagonist von PAR-1", sagt der Wissenschaftler. Eine Blockade von PP2A - und somit eine konstant erhöhte
Phosphorylierung von Bazooka - führte überraschenderweise zu einer basalen statt apikalen Anordnung des Bazooka Proteins und folglich zu einer kompletten Umkehrung der Zellpolarität. "Generell deutet dies daraufhin, dass ein Gleichgewicht von PAR-1 und PP2A Effekten für die korrekte Positionierung von Bazooka und eine richtige Polarisierung der Zelle essentiell ist", sagt Prof. Wodarz.
Originalveröffentlichung: Krahn MP, Egger-Adam D, Wodarz A; "PP2A antagonizes phosphorylation of Bazooka by PAR-1 to control apical-basal polarity in divding embryonic neuroblasts"; Developmental Cell, Volume 16, Issue 6, 16. Juni 2009, 901-908