Mikroben als Weltraumtouristen

Erste öffentliche Bakterien-Stammsammlung der Europäischen Weltraumorganisation an der DSMZ verfügbar

01.02.2013 - Deutschland

Bakterien sind allgegenwärtig und zum Teil wahre Überlebenskünstler. Das stellt Weltraummissionen vor besondere Herausforderungen. Die Raumfahrzeuge, die auf große Reise ins All gehen, sollen so sauber und keimfrei wie möglich sein. Die Gefahr einer biologischen Verunreinigung anderer Planeten durch Mikroorganismen ist real. Dies würde die Suche nach außerirdischem Leben erschweren oder sogar unmöglich machen. Raumsonden werden deshalb in sogenannten „Reinräumen“ unter strengen Biokontaminationskontrollen zusammengebaut. Trotzdem gibt es Mikroorganismen, die mit den dort herrschenden extremen Bedingungen, wie Trockenheit, Nahrungsmangel oder Desinfektionsmitteln sehr gut umgehen können. Deshalb muss die mikrobielle Artenvielfalt in den Reinräumen und auf den Oberflächen der Raumfahrzeuge ermittelt werden. Die DSMZ bietet jetzt mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) die erste öffentliche Stammsammlung von extremotoleranten, also sehr widerstandsfähigen Bakterien an. Die Sammlung stellt eine wichtige Ressource für Forschungsinstitute und die Industrie dar, um Anpassungsmechanismen von Bakterien (Resistenz gegenüber Hitze, UV-Strahlung, ionisierende Strahlung, Austrocknung, Desinfektionsmitteln) zu untersuchen.

ESA/DLR

Probenahme am Weltraumtelekop Herschel

Phylogenetische Diversität der derzeit in der Sammlung vefügbaren Isolate

ESA/DLR

„Für jede Weltraummission ist eine maximal erlaubte biologische Belastung definiert“, informiert Dr. Rüdiger Pukall, Mikrobiologe an der DSMZ. „Man spricht dabei in der Raumfahrt von „Planetary Protection“. Unter diesem Begriff werden alle Maßnahmen zusammengefasst, die verhindern sollen, dass terrestrische Lebensformen, wie etwa Mikroorganismen, im Rahmen von interplanetaren Raumfahrtmissionen Planeten und andere Himmelskörper kontaminieren. Als wichtige Kontrollfunktion wird die Artenvielfalt der mikrobiellen Gemeinschaften auf den Materialien der Weltraumfahrzeuge oder ihrer Umgebung, in den sogenannten „Reinräumen“ in denen sie gefertigt werden, analysiert. Ziel ist es dabei, passende Dekontaminationsstrategien zu entwickeln, sonst startet man mit blinden Passagieren zur nächsten Marsmission.“

So wurde auch der Zusammenbau des Weltraumteleskops Herschel in den Jahren 2007 bis 2009 von Mikrobiologen des Leibniz-Instituts DSMZ, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Universität Regensburg begleitet, um eine erste Vorstellung zur Biodiversität in Reinräumen der Raumfahrtindustrie zu erhalten. Die Fertigung des Raumfahrzeugs verlief über verschiedene Stationen rund um den Globus in Reinräumen in Friedrichshafen, Noordwijk, und im Europäischen Weltraumbahnhof Kourou.

„In den Reinräumen besteht ein besonders extremes Biotop für mikrobielle Überlebenskünstler“, erklärt Rüdiger Pukall. „Die nährstoffarme Umgebung, kontrollierte Feuchtigkeit und Temperatur sowie die Luftfilterung und die häufigen Dekontaminationen der Oberflächen schaffen einen besonderen Lebensraum für sporenbildende, autotrophe, multiresistente, fakultativ oder obligat anaerobe Bakterien.“

Auch die Probenahme der Bakterien in den Reinräumen stellte die Forscher vor besondere Herausforderungen. „Um keine fremden Keime oder Verschmutzungen einzubringen, arbeiten die Mikrobiologen in Schutzanzügen mit Mundschutz“, berichtet Rüdiger Pukall. „Mit speziellen Tupfern oder Wischtüchern wurden die Proben zum Beispiel von verschiedenen Bauteilen des Weltraumtelekops Herschel und seiner Umgebung nach strengen Standardprotokollen der ESA genommen, damit so viele Bakterienarten wie möglich erfasst werden. Später isolierten die Kollegen der Universität Regensburg und des DLR in Köln die Kulturen mit verschiedenen Kultivierungsstrategien.“

Das DSMZ-Team um Dr. Rüdiger Pukall in Braunschweig identifizierte anschließend die Bakterienstämme mittels einer Sequenzanalyse des 16S rRNA Gens. Die Bakterien wurden langzeitkonserviert, das heißt gefriergetrocknet und in flüssigem Stickstoff eingelagert. Nicht kultivierbare Bakterien wurden nach Extraktion der gesamten genomischen DNA aus den Proben ebenfalls über Sequenzierung identifiziert.

Eine Sammlung von „Überlebenskünstlern“

Der Kern der besonderen Sammlung besteht aus etwa 300 Bakterienstämmen, die aus den Reinräumen isoliert wurden. Alle Bakterien gehören der Risikogruppe 1 oder 2 an. Ein großer Anteil an Isolaten ist den Gram-positiven Bakterien zuzuordnen, wobei hier Sporenbildner aus der Gattung Bacillus sowie Micrococcus und Staphylococcus vertreten sind. Bei den Gram-negativen Bakterien kommen vor allem die Gattungen Acinetobacter, Pseudomonas und Stenotrophomonas vor.

Kürzlich konnte die ESA Stammsammlung um weitere 60 Isolate dieser Gattungen ergänzt werden. Diese stammen ursprünglich von Probenahmen aus den Jahren 2003 und 2004, die in einem von der ESA-Projekt in Zusammenarbeit von DLR und DSMZ bei den Missionen SMART-1 (interplanetare Raumsonde mit Ionenantrieb, Mondmission) und ROSETTA (Raumsonde zur Erforschung von Kometen) in Noordwijk und Kourou durchgeführt worden sind. Weitere fünf Reinraumisolate wurden vom NASA Jet Propulsion Laboratory (USA) zur Verfügung gestellt.

Etwa 30 Prozent der Mikroben in der ESA-Sammlung sind bisher auch noch unbekannt und werden nun für Forschungszwecke bereitgestellt. Einige wurden erst vor kurzem beschrieben wie z.B. Paenibacillus purispatii (DSM 22991) oder Tersicoccus phoenicis (KO_PS43, DSM 30849), ein Vertreter einer neuen bakteriellen Gattung.

Bedeutung der ESA-Sammlung

Die Sammlung von extremotoleranten Mikroben, die an das komplizierte künstliche Biotop der Reinräume angepasst ist, bietet eine sehr wertvolle und nützliche Quelle für die Industrie und Forschung. Für die ESA ist diese Sammlung ein essentielles Hilfsmittel, um das Biokontaminationspotential von Reinräumen einzuschätzen und um neue biologische Kontaminationskontrollen und Desinfektionsstrategien zu überprüfen. In den nächsten drei Jahren soll die Sammlung um weitere extremotolerante Bakterienisolate ergänzt werden, die für Industrie und Forschung von Interesse sein könnten.

Originalveröffentlichung

Moissl-Eichinger C, Rettberg P, Pukall R. (2012). The first collection of spacecraft-associated microorganisms: a public source for extremotolerant microorganisms from spacecraft assembly clean rooms. Astrobiology 12(11):1024-1034.

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