Blockade im Motoneuron

31.10.2012 - Deutschland

Erkrankungen der motorischen Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn haben für die Betroffenen immer ernste Konsequenzen. Das Wissen über die verantwortlichen Mechanismen ist noch lückenhaft. Forscher der Universität haben jetzt neue Details aufgedeckt, die sich als Ziel für Therapien anbieten.

Das bekannteste Beispiel einer Motoneuron-Erkrankung ist vermutlich die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Etwa fünf von 100.000 Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer ALS. Muskelschwund mit Lähmungen an den Armen und Beinen sind die ersten Anzeichen von ALS; später dehnen sich diese auf den Körperstamm aus, in fortgeschrittenen Stadien sind dann auch die Atem- und Schluckmuskulatur und die Zunge betroffen.

Verantwortlich für diese Symptome sind Funktionsstörungen im Bereich der sogenannten „Motoneurone“. Dabei handelt es sich um spezielle Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark, die die Funktionen und Bewegungen der Muskulatur steuern.

Neurodegenerative Erkrankungen

„Bei den meisten neurodegenerativen Erkrankungen geht eine lange Periode ‚klinisch stiller‘ Veränderungen den ersten Symptomen voraus“, erklärt Professor Michael Sendtner, Leiter des Instituts für Klinische Neurobiologie der Universität Würzburg. In dieser Phase treten zwar schon gravierende Störungen an den Motoneuronen auf. Diese werden aber dadurch kompensiert, dass sich in der direkten Nachbarschaft neue Zellfortsätze – sogenannt Axone – bilden, die sich um die Reizweiterleitung kümmern.

Erst ab einem späteren Zeitpunkt sind die Veränderungen so gravierend, dass sie zum Tod der Nervenzellen führen. Spätestens dann werden die Herausforderungen für eine effektive Behandlung unüberwindlich, so Sendtner. Deshalb sollte eine Therapie möglichst frühzeitig ansetzen. Allerdings sind die Vorgänge, die zum frühzeitigen Zelltod führen, auf molekularer Ebene noch nicht bis ins letzte Detail geklärt. Sendtner und seinen Mitarbeitern ist es jetzt gelungen, dem unvollständigen Bild ein weiteres Puzzle-Teil hinzuzufügen. Im Journal of Cell Biology stellen sie ihre Ergebnisse vor.

Störungen im Zellskelett

In ihrer Studie haben die Wissenschaftler sogenannte Mikrotubuli ins Visier genommen. Dabei handelt es sich um röhrenförmige Strukturen, die das Zellskelett bilden. Mikrotubuli sind mitverantwortlich für die Stabilität der Zelle und ihre Form, für Bewegungen der Zelle und für Bewegungen und Transporte innerhalb der Zelle. Kommt es zu Störung bei der Bildung dieser Strukturen, degenerieren die Nervenzellfortsätze; danach dauert es nicht mehr lange, bis die gesamte Zelle stirbt.

Mittlerweile hat die Wissenschaft eine Reihe von Faktoren identifiziert, die beim Embryo das Wachstum von Motoneuronen anregen und selbst in einer frühen Phase nach der Geburt noch dazu in der Lage sind, verletzte Motoneuronen zu „reparieren“. Diese Faktoren haben jedoch kaum Einfluss auf das Zytoskelett von erwachsenen Nervenzellen– mit Ausnahme eines Faktors mit dem wissenschaftlichen Namen CNTF. „CNTF stabilisiert das Zytoskelett der Nervenfortsätze, verzögert damit den Ausbruch der Krankheit und verlängert das Leben der Betroffenen signifikant – zumindest im Tierversuch“, erklärt Michael Sendtner.

Ein Faktor macht den Unterschied

Warum CNTF den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst, die anderen Faktoren aber nicht, haben die Würzburger Forscher untersucht. „Wir konnten zeigen, dass CNTF im Unterschied zu anderen Faktoren den Abbau der Zellfortsätze verhindert, indem das Protein einen ganz bestimmten Signalweg aktiviert“, erklärt Sendtner. Der Faktor wirke auf ein Protein ein – STAT3 genannt; dies wiederum interagiere mit einem weiteren Eiweiß namens Stathmin, einem Molekül, das Mikrotubuli destabilisieren kann. „STAT3 interagiert mit Stathmin, verhindert dessen destabilisierende Wirkung auf die Mikrotubuli und verhindert so die Zerstörung des Cytoskeletts in den Nervenfortsätzen“, so Sendtner.

Die Blockade von Stathim mit Hilfe spezieller Wirkstoffe bietet sich somit als Ansatzpunkt neuartiger Therapien nicht nur von Motoneuron-Erkrankungen an, glauben die Wissenschaftler. Wegen der prinzipiellen Ähnlichkeit der Vorgänge könnte dies sogar ein Angriffspunkt allgemein bei neurodegenerativen Störungen sein.

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