Geschädigte Epithelbarrieren sind für zwei Milliarden chronische Erkrankungen verantwortlich

Erklärung für Zunahme von Allergien und Autoimmunkrankheiten

07.05.2021 - Schweiz

Der Mensch ist einer Vielzahl von Umweltstoffen und Chemikalien ausgesetzt. Gemäss der Epithelbarriere-Hypothese schädigen zahlreiche Substanzen das Epithel, die Schutzschicht von Haut, Lunge und Darm. Dadurch entwickeln oder verschlimmern sich knapp zwei Milliarden chronische Erkrankungen wie Allergien, Autoimmun-, neurodegenerative und psychische Krankheiten.

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Die Epithelbarriere der Haut schützt vor Eindringlingen. Defekte Barrieren sind verantwortlich für die Zunahme von Autoimmunkrankheiten und Allergien (Symbolbild).

Epithelien bilden die Aussengrenzen des menschlichen Körpers. Insbesondere in der Haut, im Darm oder in der Lunge schützt diese Schicht die dahinterliegenden Gewebe vor Eindringlingen – etwa Bakterien, Viren, Umweltgifte, Schadstoffe und Allergene. Werden die Haut- und Schleimhautbarrieren geschädigt und undicht, wandern beispielsweise Bakterien ins Gewebe ein und führen zu lokalen, meist chronischen Entzündungen. Das hat sowohl direkte wie indirekte Folgen.

Chronische Krankheiten durch Schädigung der Epithelbarriere

Cezmi Akdis, Direktor des mit der Universität Zürich (UZH) assoziierten Schweizerischen Instituts für Allergie- und Asthmaforschung (SIAF), hat nun im Wissenschaftsmagazin «Nature Reviews Immunology» den aktuellen Wissensstand zusammengefasst. «Der Epithelbarriere-Hypothese zufolge sind Schäden an den schützenden Epithelzellschichten für knapp zwei Milliarden chronischen, nicht-infektiösen Krankheiten verantwortlich», sagt UZH-Professor Akdis. Allein das SIAF hat in den letzten 20 Jahren mehr als 60 Publikationen dazu verfasst, wie diverse Substanzen die Epithelien verschiedener Organe schädigen.

Erklärung für Zunahme von Allergien und Autoimmunkrankheiten

Die Epithelbarriere-Hypothese liefert eine Erklärung, warum Autoimmunkrankheiten und Allergien seit Jahrzehnten zunehmen: Sie sind die Folge von Industrialisierung, Urbanisierung und dem westlichen Lebensstil. Denn zahlreiche Menschen sind heute einer Vielzahl von toxischen Stoffen wie Ozon, Nanopartikel, Mikroplastik, Reinigungsmittel, Pestizide, Enzyme, Emulgatoren, Feinstaub, Abgase, Zigarettenrauch und unzähligen Chemikalien in Luft, Nahrung und Wasser ausgesetzt. «Neben der globalen Erwärmung und Viruspandemien wie COVID-19 stellen diese schädlichen Substanzen eine der grössten Bedrohungen für die Menschheit dar», betont Akdis.

Von A wie Asthma bis Z wie Zöliakie

Lokale Epitheldefekte in Haut und Schleimhäuten führen zu allergischen Erkrankungen, entzündlichen Darmerkrankungen und Zöliakie. Die Beeinträchtigung der Barriere führt aber auch zu vielen anderen Krankheiten, die sich durch Veränderungen der Bakteriengemeinschaften im Gewebe auszeichnen. Entweder bekämpft das Immunsystem fälschlicherweise «gute» Bakterien, die sich im gesunden Körper befinden, oder richtet sich gegen pathogene Eindringlinge, also «schlechte» Keime. Im Darm tragen undichte Epithelbarrieren und ein gestörtes Gleichgewicht des Mikrobioms – der Gesamtheit aller Bakterienarten – zum Ausbruch und zur Verschlimmerung chronischer Autoimmun- und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Adipositas, rheumatoide Arthritis, multiple Sklerose oder Morbus Bechterew bei. Zudem stehen auch neurodegenerative oder psychische Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer respektive Autismus und chronische Depression mit undichten Epithelbarrieren in Verbindung. Sie können durch entfernte Entzündungsreaktionen und Veränderungen des Darm-Mikrobioms, ausgelöst oder verstärkt werden.

Vermeiden, verbessern und weiterforschen

«Es ist enorm wichtig, die Epithelbarrieren weiter zu erforschen, um die molekularen Mechanismen besser zu verstehen und neue Ansätze zur Prävention, Frühintervention und Therapie zu entwickeln», sagt Akdis. Neue Behandlungen sollen darauf abzielen, die gewebespezifischen Barrieren zu stärken, das Eindringen von Bakterien zu blockieren oder die Besiedlung durch pathogene Erreger zu verhindern. Auch die Beeinflussung des Mikrobioms – etwa durch gezielte Ernährung – ist eine der Strategien. Und nicht zuletzt gilt es, die Exposition mit schädlichen Substanzen möglichst zu vermeiden und weniger toxische Produkte zu entwickeln.

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