Forscherin erzeugt künstliche Zell-Organellen für die Biotechnologie

​Synthetisch erzeugte Bläschen sind Mini-Labore für maßgeschneiderte Moleküle – möglicher Ersatz für Rohstoffgewinnung aus Öl

16.11.2020 - Deutschland

Zellen höherer Organismen nutzen Zell-Organellen, um Stoffwechselreaktionen voneinander zu trennen. So findet die Zellatmung in den Mitochondrien, den Energie-kraftwerken der Zelle, statt. Sie sind so etwas wie abgeschlossene Laborräume in der großen Fabrik Zelle. Einem Forscherteam der Goethe-Universität ist es nun gelungen, künstliche Zell-Organellen herzustellen und diese für selbst erdachte biochemische Reaktionen zu nutzen.

Mahmoud-Ahmed, pixabay.com

Symbolbild

Schon länger hatten Biotechnologen versucht, natürliche Zell-Organellen für andere Prozesse zu „reprogrammieren“ – mit gemischtem Erfolg, denn die „Laboreinrichtung“ ist auf die Funktion der Organelle spezialisiert. Dr. Joanna Tripp, Nachwuchswissenschaftlerin am Institut für Molekulare Biowissenschaften, hat nun eine neuartige Methode entwickelt, künstliche Organellen in lebenden Hefezellen zu erzeugen.

Sie nutzt dazu das verzweigte System von Röhren und Bläschen des Endoplasmatischen Retikulums (ER), das den Zellkern umgibt. Von diesem Membransystem schnüren sich in Zellen immer wieder Bläschen oder Vesikel ab, um etwa Stoffe an die Zellmembran zu transportieren. In Pflanzen können solche Vesikel aber auch zur Speicherung von Proteinen in Samen dienen. Diese Speicherproteine sind mit einem „Adressaufkleber“, der Zera-Sequenz, versehen, die sie in das ER einschleusen und dafür sorgen, dass Speicherproteine dort in Vesikel „verpackt“ werden. Joanna Tripp hat nun den „Adressaufkleber“ Zera verwendet, um in Hefezellen gezielt Vesikel zu erzeugen und mehrere Enzyme eines biochemischen Stoffwechselweges einzuschleusen.

Aus biotechnologischer Sicht ist dies ein Meilenstein. Denn Hefezellen als „Haustiere“ der synthetischen Biologie stellen nicht nur zahlreiche nützliche Naturstoffe her, sondern können auch genetisch so verändert werden, dass sie im großen Stil industriell interessante Moleküle wie etwa Biokraftstoffe oder Anti-Malaria-Mittel produzieren.

Doch neben den gewünschten Produkten entstehen oft auch unerwünschte Nebenprodukte oder giftige Zwischenprodukte. Zusätzlich kann das Produkt durch Lecks in der Zelle verloren gehen, oder die Reaktionen sind zu langsam. Hier können die synthetischen Zell-Organellen eine Abhilfe schaffen, denn in ihnen treffen nur die erwünschten Enzyme (mit „Adressaufkleber“) zusammen, so dass sie effektiver zusammenarbeiten können, ohne den Rest der Zelle zu stören oder gestört zu werden.

„Wir haben die Zera-Sequenz benutzt, um einen dreistufigen, synthetischen Stoffwechselweg in Vesikel einzubringen“, erklärt Joanna Tripp. „Damit haben wir selbst einen Reaktionsraum geschaffen, der genau das enthält, was wir wollen. Wir konnten dann zeigen, dass der Stoffwechselweg in den Vesikeln abgeschottet vom Rest der Zelle funktioniert.“

Die Biotechnologin hat sich für diesen Prozess ein industriell relevantes Molekül ausgesucht: Die Mukonsäure, die industriell weiter zu Adipinsäure verarbeitet wird. Diese ist ein Zwischenprodukt für Nylon und andere Kunststoffe. Zurzeit wird die Mukonsäure aus Rohöl gewonnen. Würde man sie künftig im großen Maßstab durch Hefezellen herstellen lassen, wäre das bedeutend umweltfreundlicher und nachhaltiger. Zwar geht derzeit noch ein Teil des entstehenden Zwischenproduktes Protocatechusäure verloren, weil die Vesikelmembran durchlässig ist, aber Joanna Tripp sieht dies als ein lösbares Problem an.

Prof. Eckhard Boles, Leiter der Abteilung Physiologie und Genetik niederer Eukaryoten, urteilt: „Das ist eine revolutionäre neue Methode für die synthetische Biologie. Mit den neuartigen künstlichen Organellen gibt es nun eine Möglichkeit, verschiedenartige Prozesse in der Zelle neu zu generieren oder zu optimieren.“ Die Methode ist dabei nicht auf Hefezellen beschränkt, sondern generell für eukaryotische Zellen einsetzbar. Zudem lässt sie sich auch auf andere Fragestellungen anwenden, z.B. für Reaktionen, die bisher nicht in lebenden Zellen stattfinden konnten, weil man dazu etwa Enzyme benötigt, die den Zell-Stoffwechsel stören können.

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