Schrittmacher für das Gedächtnis
"Angesichts der fundamentalen Wichtigkeit von Munc13-Proteinen für die Übertragungseigenschaften von Synapsen lag die Vermutung nahe, dass diese Proteine auch an der Regulation der synaptischen Übertragungsstärke beteiligt sind und so Gedächtnisprozesse steuern", sagt Dr. Nils Brose, Direktor am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin. In der Tat wird diese Annahme in den beiden jetzt veröffentlichten Studien zumindest teilweise bestätigt. Zunächst wiesen die Göttinger Forscher nach, dass Munc13-Proteine durch einen Regulationsmechanismus beeinflusst werden, den man schon seit langem mit Lern- und Gedächtnisprozessen in Verbindung gebracht hat: Durch geringfügige genetische Veränderungen können die Wissenschaftler Nervenzellen dazu bringen, Munc13-Proteine herzustellen, die den zellulären Signalstoff DAG nicht mehr binden. Die Nervenzellen sind dann besonders bei hohem Informationsfluss nicht mehr in der Lage, eine zuverlässige Transmitterfreisetzung und damit die fehlerfreie Signalübertragung an den Synapsen zu gewährleisten. Im Zuge dieser Untersuchungen räumten die Göttinger Wissenschaftler auch mit der vorherrschenden Lehrmeinung auf, dass die sehr viel ‚prominentere' Proteingruppe der C-Proteinkinasen für die Wirkung des Signalstoffs DAG auf die Freisetzung von Neurotransmittern verantwortlich sei. "Das war ein interessanter Nebenbefund, aber im Vordergrund unserer Entdeckung steht, dass Munc13-Proteine tatsächlich von zentraler Bedeutung für die Eigenschaften von Nervenzellen sind, die bei Lern- und Gedächtnismechanismen eine Rolle spielen", betont Dr. Christian Rosenmund, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Diese Hypothese wurde durch eine zweite Studie der beiden Forschergruppen noch übertroffen. Bei Untersuchungen am Hippocampus, einer für Lernvorgänge besonders wichtigen Region des Gehirns, fiel den Wissenschaftlern auf, dass Nervenzellen in dieser Hirnregion zwei Munc13-Proteinvarianten enthalten - Munc13-1 und Munc13-2. Es stellte sich heraus, dass die einzelnen Nervenzellen ihre jeweils bis zu 1000 Synapsen in unterschiedlicher Weise mit diesen Proteinen ausstatten. Einige Synapsen enthalten Munc13-1, während andere durch Munc13-2 reguliert werden. Die Forscher stellten fest, dass diese unterschiedliche Ausrüstung mit Munc13-Varianten dramatische Konsequenzen für die Eigenschaften der betroffenen Synapsen hat: Enthalten sie Munc13-1, so führt eine dauerhafte Reizung zu einer schnellen und ausgeprägten Ermüdung. Sind sie hingegen mit Munc13-2 ausgestattet, funktionieren sie selbst bei sehr hohen Aktivitätsraten und entsprechend hoher Belastung äußerst zuverlässig. Synapsen mit Munc13-1 eignen sich deshalb für die Übertragung dynamischer Informationen, also plötzlicher Veränderungen. Hingegen dienen Synapsen mit Munc13-2 der Übertragung statischer Informationen, wie z.B. der Körpertemperatur oder des Blutdrucks. Beide Synapsentypen sind an einem Axon einer Nervenzelle zu finden. Von daher ist die gleiche Nervenzelle des Hippocampus in der Lage, gleichzeitig unterschiedliche Informationen - gewissermaßen in zwei verschiedenen Dialekten - an andere Nervenzellen zu übertragen. Doch nicht nur das: "Die für Lern- und Gedächtnisprozesse notwendige Veränderung der synaptischen Übertragungseigenschaften könnte durch einfache Umverteilung der Munc13-Varianten herbeigeführt werden", meinen Rosenmund und Brose. "Munc13-Proteine wären dann die Schrittmacher unseres Gedächtnisses". Wird an einer Synapse die eine durch die andere Proteinvariante ersetzt, kann die Signalübertragung verstärkt oder abgeschwächt werden. Treten hierbei Störungen ein, wären pathophysiologische Prozesse, wie Gedächtnisschwund oder Schizophrenie, die Folge.