Tödlicher Verkehrsstau in der Nervenzelle
Mäuse liefern Forschern aus Bielefeld, Ann Arbor und Braunschweig neue Erkenntnisse über Nervenkrankheiten wie ALS
Schon seit Jahrzehnten kennen Forscher die Labormaus-Mutante der "Wobbler" als Modell für die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) beim Menschen. Ursache für die tödlich verlaufende Krankheit ist das Absterben der großen motorischen Nervenzellen im Rückenmark, die die Muskeln des Bewegungsapparats kontrollieren. Die Arbeiten der Bielefelder Forscherteams um Prof. Jockusch und Dr. Thomas Schmitt-John, inzwischen Professor an der Universität Aarhus in Dänemark, zeigen jetzt: Ein Defekt in einem Gen namens Vps54 ist die Ursache für den Verlust der Nervenzellen bei der Wobbler-Maus - und dieser Befund wirft ein neues Licht auf mögliche Krankheitsmechanismen, die auch für ALS-kranke Menschen von Bedeutung sein können. Die Befunde der Bielefelder Arbeitsgruppe wurden in Zusammenarbeit mit Dr. Andreas Lengeling von der GBF und Prof. Miriam Meisler aus Ann Arbor gewonnen.
"Im Inneren unserer Körperzellen spielt sich ein reger Containertransport ab", erklärt Schmitt-John. "Die Container sind mikroskopisch kleine Membranbläschen." Bei der Vielzahl verschiedener Transportgüter mit Funktionen an verschiedenen Orten müssen Ladung, Transportrichtung und Zieladresse genau abgestimmt sein. Die Zielfindung des richtigen Container-Terminals wird durch passgenaue Erkennungsmoleküle vermittelt: die "Vesicular protein sorting factors", kurz Vps. Der Bauplan für eines dieser Moleküle ist im Gen Vps54 gespeichert. Ist es defekt, können die Vesikel ihr Ziel nicht finden. Warum der resultierende "Verkehrsstau" innerhalb der Zelle zu einer Nervenschädigung führt, ist noch nicht vollständig verstanden. "Vermutlich sind Nervenzellen gegen Störungen der Stoffverteilung ganz besonders empfindlich, weil sie ständig Signalstoffe austauschen", erläutert GBF-Wissenschaftler und Projektpartner Dr. Andreas Lengeling. Was die Forscher hoffen lässt: "Wenn man Wobbler-Mäusen ein funktionierendes Vps54-Gen einführt", berichten Meisler und Lengeling, "werden sie von ihrer Krankheit geheilt. Für den Menschen könnten die beschriebenen Fortschritte in der Grundlagenforschung die Möglichkeit neuer Therapieansätze bringen.
Originalveröffentlichung: T. Schmitt-John, C. Drepper, A. Mußmann, P. Hahn, M. Kuhlmann, C. Thiel, M. Hafner, A. Lengeling, P. Heimann, J. M. Jones, M.H. Meisler, H. Jockusch; "Mutation of Vps54 causes motoneuron disease and defective spermiogenesis in the wobbler mouse"; Nature Genetics online 2005.
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