Mit einem Pilz nachhaltige Plattformchemikalien herstellen

Neues Biotech-Start-up Biophelion arbeitet daran, neue Materialien aus Industrieabfällen zu gewinnen

30.09.2025

Das neue Startup möchte den Übergang zur Kreislaufwirtschaft in der Industrie beschleunigen. Mit biotechnologischen Verfahren soll mehr Nachhaltigkeit in die materialintensive Chemie-Branche einziehen, die in der Vergangenheit für massive Umweltprobleme gesorgt hat. Die beiden Gründer Lars Regestein und Till Tiso haben hierfür einen ungewöhnlichen Helfer an ihrer Seite: einen hefeähnlichen schwarzen Pilz. Mit ihm wollen die beiden Ingenieure Stoffgemische, die bisher als wertfreie Nebenprodukte oder gar Abfall gelten, in nutzbare Substanzen umwandeln. Hierfür kommt ihnen die enorme Variabilität im Stoffwechsel des Pilzes zugute. Damit ist der Mikroorganismus in der Lage, kohlenstoffhaltige Substanzgemische aus industriellen (Abfall)strömen, wie sie beispielsweise in der Bioethanolproduktion oder bei der Herstellung von Zucker und Papier in großen Mengen anfallen, in neue Produkte umzuwandeln. Damit landet der enthaltene Kohlenstoff nicht wie bisher als klimaschädliches Kohlendioxid in der Atmosphäre, sondern wird der Nutzung durch den Menschen erneut zugeführt.

© Tillmann Franzen

Die beiden Gründer Lars Regestein (li) und Till Tiso (rechts) auf dem Weg in die Laborräume des BioInstrumentezentrums.

Ein Pilz mit Potential

Die schwarze Hefe produziert aus diesen Abfallstoffen drei Schlüsselverbindungen: ein Polyester, aus dem beispielsweise künftig Plastik für Verpackungen hergestellt werden könnte, das essbare Polymer Pullulan, das schon heute bei der Lebensmittelherstellung verwendet wird, sowie ein neuartiges Tensid, dessen Eigenschaften und mögliche kommerzielle Verwertbarkeit aktuell erforscht werden. „Die Biophelion entwickelt gezielt Anwendungen, die heute noch nicht denkbar sind – gerade mit Pullulan oder unserem Tensidmolekül betreten wir Neuland“, sagt Till Tiso. Eine Idee ist, Pullulan als Material für den 3D-Druck zu verwenden. Das Fertigungsverfahren erlebt seit einigen Jahren einen enormen Aufschwung, der mit einem hohen Materialbedarf verbunden ist. Pullulan könnte klassische Kunststoffe für den 3D-Druck künftig ersetzen oder zumindest ergänzen. Die beiden Gründer können sich sogar vorstellen, künftig 3D-gedruckte Bioreaktoren für die zirkuläre Bioökonomie aus Pullulan herzustellen, damit würde ihr Mikroorganismus gewissermaßen sein eigenes Kulturgefäß herstellen.

Tenside wiederum sind als Massenprodukt ein Hauptbestandteil von Wasch- und Spülmitteln. Damit landen sie im Abwasser und belasten die Umwelt. Hier sind biologisch produzierte und damit auch leicht abbaubare Alternativen ein wichtiger Beitrag, um den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren.

Mit SPRIND zum Erfolg

Den Anstoß zur Gründung gab die Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND. Der von SPRIND ausgeschriebene Wettbewerb „Circular Biomanufacturing Challenge“ soll gezielt die Gründung neuer Hochtechnologie-Unternehmen in den Lebenswissenschaften fördern. Ein risikobehaftetes Unterfangen, das jedoch auch große Chancen birgt. Schon eines der geförderten Projekte kann die gesamte Investition in einen solchen Wettbewerb wieder einspielen, wenn es sich zu einem Erfolg entwickelt und dem Wirtschaftsstandort Deutschland einen Wettbewerbsvorteil sichert. Biophelion wurde als gemeinsames Spin-off des Leibniz-HKI und der RWTH Aachen bereits in der zweiten von maximal drei Förderphasen gegründet. „SPRIND hat uns Rückenwind gegeben – inhaltlich, finanziell und strategisch“, betont Lars Regestein, der künftig als CEO agiert. Till Tiso übernimmt die Rolle des CTO und bleibt zugleich in der akademischen Forschung tätig. Das Startup bezieht Geschäftsräume im BioInstrumentezentrum auf dem Beutenberg-Campus in Jena und damit nur einen Steinwurf vom Leibniz-HKI entfernt. Mit dem Institut wird es auch künftig eine enge Zusammenarbeit geben, um die Bioverfahren zur Herstellung der neuen Produkte weiter zu optimieren. Die Ascenion GmbH hat als Technologietransferpartner des Leibniz-HKI das Projekt von Beginn an begleitet und war in den Prozess der Ausgründung eingebunden.

„Das Leibniz-HKI freut sich, den Weg der beiden Gründer auch künftig als teilhabende Institution begleiten und unterstützen zu dürfen. Die exzellente wissenschaftliche Expertise von Lars Regestein und Till Tiso schätzen wir sehr, ebenso den Mut, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Nun wünschen wir den frischgebackenen Geschäftsführern auch den gebührenden kommerziellen Erfolg mit Biophelion“, sagt Axel Brakhage, Direktor des Leibniz-HKI.

Die Gründer

Lars Regestein studierte in Dresden Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Im Jahr 2007 begann er seine Promotion unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Jochen Büchs an der RWTH Aachen University im Bereich der Bioverfahrenstechnik, die er 2012 erfolgreich abschloss. Im Anschluss wurde er an selbigem Lehrstuhl Oberingenieur und arbeitete an den Forschungsschwerpunkten viskose Systeme, Mischkulturprozesse und integrierte Downstream-Prozesse. Seine Zeit in Aachen unterbrach er 2014/15 für einen Forschungsaufenthalt als Adjunct Professor an der Western University in London, Ontario, Kanada. Seit 2017 forscht Lars Regestein am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena. Sein Team entwickelt und skaliert Prozesse vom Mikroliter- bis zum Kubikmeter-Maßstab und geht dabei den ganzen Weg vom Rohstoff bis hin zum Reinprodukt.

Till Tiso studierte Bioingenieurwesen an der TU Dortmund. 2011 wechselte er an das Institut für Angewandte Mikrobiologie der RWTH Aachen University, wo er 2016 seine Promotion abschloss. Im Anschluss übernahm er die Leitung einer eigenen Forschungsgruppe und habilitierte sich 2024 mit Arbeiten zur Rolle der Mikrobiologie in der zirkulären Bioökonomie. Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem an das Imperial College in London und an das CSIC in Madrid. Seit 2025 ist er Professor für Systembiotechnologie an der Universität Bielefeld. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung nachhaltiger biotechnologischer Prozesse zur industriellen Umsetzung.

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