Über die Rolle der Gliazellen bei der Bildung der Synapsen.

Neue Perspektiven bei der Suche nach den Ursachen neurodegenerativer Erkrankungen

03.07.2002
Woher wissen eigentlich unsere Nervenzellen, mit welchen ihrer Nachbarn sie sich verknüpfen müssen? Wie entstehen diese Verknüpfungen und was erhält sie? Von den zugrunde liegenden Mechanismen hängt ab, wie wir denken, wie wir lernen und an was wir uns erinnern. Und wenn es nicht mehr funktioniert, beispielsweise wenn wir an Alzheimer erkranken, werden wir vergesslich und verändern unsere Persönlichkeit. Trotzdem ist noch sehr wenig über diese Mechanismen bekannt. Deshalb hat Dr. Karl Nägler die Rolle der im Gehirn zahlreich vorhandenen Gliazellen bei der Bildung der Synapsen untersucht. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Gliazellen, denen lange Zeit eine reine Stütz- und Versorgungsfunktion für die Neurone zugeschrieben wurde, einen Faktor bereitstellen, der die Bildung der Synapsen um das zehnfache verstärkt und zusätzlich die Effizienz der einzelnen Synapsen erhöht. Das menschliche Gehirn enthält viele Milliarden Nervenzellen, die Neurone, von denen jedes bis zu zehntausend Synapsen bildet. Das sind Verknüpfungen, über die die Neurone ihre Aktivität verbreiten und die Signale austauschen, die unser Denken, Handeln und Empfinden steuern. Die Neurone bestehen aus einem Zellkörper und fadenförmigen Fortsätzen, die meterlang werden können und an ihren Enden Synapsen zu anderen Neuronen bilden. Wird ein Neuron aktiv, werden an den Synapsen Neurotransmitter freigesetzt, die in den Empfängerzellen ein Signal induzieren. Erhält eine Empfängerzelle ausreichend Einganssignale, wird sie selbst aktiviert und leitet ihre Botschaft wiederum an andere Zellen weiter. Da ein Neuron sehr viele Synapsen bildet und umgekehrt auch von sehr vielen Neuronen Einganssignale erhält, entsteht ein hoch komplexes Netzwerk. Die Gliazellen befinden sich zwischen den Neuronen und ummanteln die Synapsen. Die Funktion der Gliazellen ist noch immer nicht vollständig geklärt. Manche Forscher spekulieren, dass die Gliazellen ein zweites Netzwerk neben den Neuronen bilden, über das die Bildung von Synapsen in bestimmten Regionen des Gehirns gefördert wird, wenn in anderen Regionen eine verstärkte Aktivität auftritt. Es könnte sein, dass Störungen an diesem Netzwerk Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer verursachen. Um die Rolle der Gliazellen zu untersuchen, hat Karl Nägler von Gliazellen gereinigte Neuronen-Mikrokulturen hergestellt, bei denen die einzelnen Zellen so weit voneinander entfernt sind, dass sie keine Verbindungen untereinander herstellen. Dann passiert etwas merkwürdiges: Die Neurone bilden Synapsen mit sich selbst, so genannte Autapsen. Der Vorteil dieser genau definierten Laborbedingungen ist, dass so die Synapsen der einzelnen Neurone nach Einfärben mit einem Farbstoff unter dem Mikroskop gezählt werden können. Außerdem lässt sich in elektrophysiologischen Experimenten, bei denen die sehr kleinen Neurone intrazellulär mit Elektroden kontaktiert werden müssen, die Effizienz der Synapsen bestimmen. Es zeigte sich, dass die Neurone in Abwesenheit von Gliazellen nur wenige und ineffiziente Synapsen bilden. Wurden die Neurone aber zusammen mit Gliazellen kultiviert, verzehnfachte sich die Zahl der Synapsen. Zusätzlich stieg die Effizienz der Synapsenfunktion. Was ist nun das Geheimnis der Gliazellen, das die Anzahl und Effizienz der Synapsenfunktion so positiv beeinflusst? Um das zu testen, hat Karl Nägler einige Kulturen mit Substanzen versehen, die von Gliazellen freigesetzt werden - und hat dabei vollständig auf die Hinzugabe intakter Gliazellen verzichtet. Das Ergebnis: Die Anzahl und Effizienz der Synapsen erhöhte sich auch so. Welche Substanz dafür verantwortlich ist, war vorerst jedoch noch nicht bekannt. Die Identifizierung dieser Substanz wäre deshalb der nächste Forschungsschritt. Es war notwendig, die Untersuchungen an den Mikrokulturen durchzuführen, da die getrennte Untersuchung der beiden Parameter - Anzahl und Effizienz - in herkömmlichen Kulturen nicht möglich ist. Dort bildet sich wie im Gehirn ein hoch kompliziertes Netzwerk von Verknüpfungen, das nicht mehr überschaubar ist. Bei solch einem Vorgehen muss allerdings gewährleistet sein, dass sich die Ergebnisse, die unter den Laborbedingungen gewonnen wurden, auf die Nervenzellen unter natürlichen Bedingungen übertragen lassen. Den Verdacht auf die Wirkung der Gliazellen und ihrer löslichen Substanzen gab es schon früher. Bereits vor einigen Jahren hatten Dr. Frank Pfrieger, der jetzt die Max-Planck/CNRS-Gruppe für Neurochemie in Strasbourg leitet, und Prof. Ben Barres von der Stanford Universität in Palo Alto/USA festgestellt, dass lösliche Substanzen eine Rolle bei der Bildung von Verknüpfungen spielen. Da die Untersuchungen nicht an Mikrokulturen durchgeführt wurden, blieb jedoch unklar, ob durch Zugabe der löslichen Substanzen vor allem die Effizienz der einzelnen Verknüpfungen erhöht wird oder ob tatsächlich die Anzahl der Verknüpfungen steigt. Diese Frage klärte nun Karl Nägler. Aufbauend auf den Arbeiten von Karl Nägler wurde vor kurzem auch die von den Gliazellen freigesetzte Substanz als Cholesterol identifiziert (D.H. Mauch, K. Nägler, S. Schuhmacher, C. Goritz, E.C. Müller, A. Otto, F.W. Pfrieger, "CNS synaptogenesis by glia-derived cholesterol" in Science, Vol. 294, Nr. 5545, 2001, S. 1354-1357). Das eröffnet neue Perspektiven bei der Suche nach den Ursachen neurodegenerativer Erkrankungen, wie z.B. der Alzheimer Krankheit.

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