4.000 Jahre alte Gene

11.02.2010 - Dänemark

(dpa) Ein 4.000 Jahre alter Grönländer mit braunen Augen, Wachs im Ohr, Tendenz zur Glatze und Vorfahren im fernen Sibirien: Aus ganzen vier Haaren und ebenso vielen Knochensplittern haben dänische Forscher das Erbgut eines Arktisbewohners entnommen und zu 80 Prozent entziffert.

Wie die Gruppe um den Kopenhagener Evolutionsbiologen Eske Willerslev im britischen Fachjournal «Nature» berichtete, hat die Analyse des Erbguts auch überraschende Aufschlüsse über die Herkunft gebracht: Der Mann, den die Wissenschaftler nach dem grönländischen Wort für Mensch «Inuk» nannten, gehörte genetisch nicht zur heutigen Urbevölkerung der Polarinsel, sondern ins nordöstliche Sibirien.

Das Bild, das Willerslev und seine Mitstreiter in nur einjähriger Sequenzierungsarbeit winzigster Erbgut-Spuren von Inuk ermittelt haben, fällt plastisch aus: Dieser Urgrönländer, dessen Stamm es dort nicht mehr gibt, hatte die Blutgruppe A+ sowie «schaufelartige Vorzähne». Er war ein bisschen korpulent und gut an das Polarklima angepasst. Willerlev weiter: «Wir haben uns auch Spuren von Inzucht angeschaut. Seine Eltern dürften, etwa als Cousin und Cousine, miteinander verwandt gewesen sei.»

Als besonders aufregend empfindet der erst 38-jährige Biologieprofessor selbst die Entdeckung der genetischen Verwandtschaft Inuks mit arktischen Stämmen im nordöstlichen Sibirien. Wie und warum dessen Vorfahren die Distanz von mehreren tausend Kilometern ins genauso kalte und harte Grönland hinter sich gebracht haben, sei völlig ungeklärt. In jedem Fall aber zeige die DNA-Sequenzierung, dass der 4.000 Jahre alte Mann genetisch nichts mit der heutigen Urbevölkerung der riesigen Polarinsel zu tun hat.

Willerslev nannte die fast komplette Entzifferung eines so alten Genoms «Folge der unwahrscheinlichen technologischen Revolution in der Genforschung». Auch mit einer so kleinen Datengrundlage wie DNA aus den Haaren könne man nun «mit großer Sicherheit weite Teile der Person rekonstruieren».

Die Überreste des Mannes wurden 1986 an Grönlands Westküste gefunden, wo sie mehrere tausend Jahre vom Eis konserviert worden waren. Willerslev stieß nur durch Zufall auf die Haar- und Knochenreste: «Ich hab ja selbst erfolglos im nördlichen Grönland nach Knochen mit intakter DNA gesucht und mir dabei den Arsch abgefroren.» Als er sein Leid dem Chef des Zoologischen Museums, Morten Meldgaard, klagte, erinnerte der sich an die von ihm selbst und seinem Vater zwanzig Jahre zuvor gefundene Knochen und Haare, die das ewige Eis 4.000 Jahre lang konserviert hatte: «Versuchs doch mal mit denen.»

Nun sei zum ersten Mal das Genom eines einzelnen modernen Menschen (Homo sapiens) aus der Vorzeit fast vollständig sequenziert, heißt es in einem «Nature»-Kommentar. Im vergangenen Jahr hatten Leipziger Wissenschaftler zusammen mit US-Kollegen das Erbgut von mehreren Neandertalern aus bis zu 40.000 Jahre alten Knochenfunden weitgehend entziffert.

Originalveröffentlichung: Morten Rasmussen et al.; "Ancient human genome sequence of an extinct Palaeo-Eskimo"; Nature 463, 757-762 (11 February 2010)

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