Berlin (dpa) - Mit seinem Stammzell-Votum vom Januar hat der
Bundestag nach Ansicht eines der führenden deutschen Forscher «meisterhaft jede klare Entscheidung vermieden». Der Berliner Molekularbiologe Prof. Jens Reich kritisiert in der aktuellen Ausgabe des US-Fachjournals «Science» die unklare Haltung des Parlaments. «Wenn Embryonen Grundrechtstatus haben, dann sollte Embryonenforschung unter keinen Umständen erlaubt sein», argumentiert Reich, der auch Mitglied des Nationalen Ethikrats ist. «Haben Embryonen diesen Status nicht, dann sind die Bedingungen, welche den Import für die Stammzellforschung regeln, unpraktikabel und nicht gerechtfertigt.»
Reich, der am Berliner Max-Delbrück-Centrum (MDC) für Molekulare
Medizin arbeitet, nennt unter anderem die komplizierten geplanten Ausnahmeregeln für den nach dem Beschluss grundsätzlich zunächst verbotenen Import embryonaler
Stammzellen. Laut Gesetzentwurf dürften nur Stammzellen nach
Deutschland geliefert werden, die im Zuge der künstlichen Befruchtung vor in Kraft treten des deutschen Gesetzes angefallen seien. Außerdem sollten die genetischen Eltern ihr Einverständnis für den Export geben und unterschreiben, dass sie weder Geld erhalten hätten noch die Befruchtung zu irgendeinem anderen Zweck als der
Schwangerschaft erfolgt sei.
Seines Erachtens werde auch nicht klar zwischen Befruchtung im Reagenzglas und Einnistung des befruchteten Eis in die Gebärmutter unterschieden, schreibt Reich. Es gebe jeweils gute Gründe, beide Momente als Zeitpunkt der Menschwerdung anzusehen. Folge man der ersten Ansicht, müsse die Forschung an embryonalen
Zellen grundsätzlich verboten bleiben, folge man der zweiten Auffassung, müsse die Forschung an überzähligen Embryonen erlaubt sein. Der Beschluss des Bundestags sei jedoch weder für Befürworter noch für Gegner der Forschung an embryonalen Stammzellen befriedigend.