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Nikolai Iwanowitsch Pirogow



 

Nikolai Iwanowitsch Pirogow (russ. Николай Иванович Пирогов; * 13. November / 25. November 1810 in Moskau, Russland; † 23. November / 5. Dezember 1881 in Wischnja, heute zu Winnyzja, Ukraine) war ein russischer Chirurg und Pädagoge. Er gilt als Begründer der Feldchirurgie und gehörte zu den ersten Ärzten in Europa, die Ether zur Narkose anwendeten. 1859 veröffentlichte er einen Anatomie-Atlas, dessen Darstellungen auf gefrorenen Schnitten eines menschlichen Körpers beruhten. Seine Arbeiten trugen entscheidend dazu bei, der Chirurgie eine wissenschaftliche Basis in Form gesicherter anatomischer Erkenntnisse und einer entsprechenden Ausbildung zu geben. Später engagierte er sich für eine Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Kinder, in Russland lebende Ausländer und arme Menschen. In seiner russischen Heimat gilt er als einer der bekanntesten Ärzte in der Geschichte des Landes und als Nationalheld.

Inhaltsverzeichnis

Biographische Informationen

Kindheit und Ausbildung

 

Pirogow wurde als Sohn eines Majors geboren und war das 13. Kind seiner Eltern. Er lernte bereits früh lesen und sprach schon als Kind verschiedene Fremdsprachen. Als sein Vater 1824 starb und damit die Familie ohne Einkommen zurückließ, sollte Pirogow zunächst eine Ausbildung zum Zivilbeamten beginnen. Dem Arzt der Familie, der Professor für Anatomie und Physiologie an der Universität Moskau war, gelang es jedoch ein Jahr später, für Pirogow trotz seines geringen Alters eine Zulassung zum Medizinstudium zu erreichen.

Pirogow entschied sich für eine Spezialisierung in Chirurgie, obwohl er während seiner Zeit an der Universität nur bei zwei Operationen anwesend war und keine einzige selbst durchgeführt hatte. 1828 beendete er sein Studium erfolgreich im Alter von 17 Jahren. Er widmete sich weiteren Studien an einem Institut, an dem junge Absolventen zu Professoren ausgebildet werden sollten, sowie an den Universitäten in Berlin und Göttingen. Im Rahmen seiner Weiterbildung gelangte er nach Dorpat, dem heutigen Tartu, und spezialisierte sich weiter in den Bereichen Chirurgie und Anatomie. 1832 promovierte er hier, fünf Jahre später wurde er im Alter von 26 Jahren zum Professor für Chirurgie und pathologische Anatomie an der Universität von Dorpat ernannt. Diese Position hatte er bis 1840 inne.

1842 heiratete er, seine Frau starb allerdings im Alter von 24 Jahren an Komplikationen nach der Geburt des zweiten gemeinsamen Sohnes. In zweiter Ehe war er mit der Baronin Alexandra Bistrom verheiratet.

Wirken als Arzt und Feldchirurg

1841 wurde er Professor für Chirurgie am rund 1000 Betten umfassenden Krankenhaus der Akademie für Militärmedizin in Sankt Petersburg. In der Folgezeit gründete er hier ein anatomisches Institut und bildete Studenten aus. Darüber hinaus widmete er sich Forschungstätigkeiten in Anatomie und Pathologie und verbrachte insgesamt drei Jahre im Militärdienst als Armeearzt. 1847 führte er erstmals eine Narkose mit Ether durch, ein Jahr später widmete er sich Untersuchungen zur Cholera. Von 1852 bis 1859 erarbeitete er einen Anatomie-Atlas, der 1859 unter dem Titel Topographische Anatomie des menschlichen Körpers, mit Durchschnitten gefrorener Kadaver illustriert veröffentlicht wurde und rund 220 Abbildungen enthielt.

1852 gelang ihm als einem von wenigen Ärzten weltweit die erfolgreiche Behandlung eines Aneurysmas des Truncus brachiocephalicus. Dabei handelt es sich um eine krankhafte starke Erweiterung eines am Aortenbogen beginnenden Blutgefäßstamms, die unbehandelt in nahezu allen Fällen durch einen spontanen Riss zum Tod führt. Während eine operative Behandlung eines solchen Aneurysmas heutzutage eine chirurgische Standardtechnik ohne größere Risiken ist, stellte sie zur damaligen Zeit eine der anspruchsvollsten Operationen dar.

Im Dezember 1854 begann er auf eigenen Wunsch, im Rahmen des Krimkrieges erneut als Militärarzt zu arbeiten. Aufgrund seiner Tätigkeit während dieses Krieges gilt er als Begründer der Feldchirurgie. Er führte unter anderem Gipsverbände zur Stabilisierung von Knochenbrüchen in die Chirurgie ein und entwickelte eine nach ihm benannte Technik zur Amputation eines Fußes. Auch die Narkose wurde von ihm erstmals als Standardbehandlung bei Operationen im Feld eingesetzt. Die heute als Triage bezeichnete abgestufte Behandlung einer großen Zahl an Verwundeten mit einer Einteilung in fünf Schweregrade geht ebenfalls auf ihn zurück. Er maß darüber hinaus der Ausbildung von Pflegekräften große Bedeutung bei und setzte sich, ähnlich dem Wirken von Florence Nightingale, für die Bildung von organisierten Freiwilligenkorps aus Krankenschwestern ein.

Rückzug und Ruhestand

 

1856 kehrte Nikolai Pigorow nach Sankt Petersburg zurück. Unzufrieden mit den Zuständen an der Akademie zog er sich dauerhaft aus der Ausbildung und der Arbeit im Krankenhaus zurück. Im gleichen Jahr veröffentlichte er eine Schrift, in der er Einschränkungen für Arme sowie für die in Russland lebenden Ausländer bei der medizinischen Ausbildung verurteilte und darüber hinaus die Zulassung von Frauen zum Studium unterstützte. Auch eine frühe Spezialisierung lehnte er ab und forderte stattdessen eine umfassende Primärbildung für alle Bevölkerungsschichten sowie eine Ausweitung des sekundären Bildungsbereiches. Kurze Zeit später wurde er Kurator für schulische Angelegenheiten für den Süden Russlands, 1858 übernahm er aufgrund von Differenzen mit dem Generalgouverneur von Odessa das gleiche Amt in Kiew. Drei Jahre später setzte er sich auf seinem Anwesen im Süden der Ukraine zur Ruhe und war dort ehrenamtlich als Friedensrichter tätig. Darüber hinaus behandelte er die in der Umgebung lebenden Bauern.

Im Jahr 1862 wurde er zum Leiter einer Delegation ernannt, die im Ausland die Ausbildung russischer Studenten begutachten sollte. Nachdem Giuseppe Garibaldi, eine der populärsten Persönlichkeiten der als Risorgimento bezeichneten Bewegung für einen unabhängigen italienischen Nationalstaat, im August 1862 in einer Schlacht schwer verwundet wurde, gelang es Pirogow, ihn während eines Aufenthalts in Italien erfolgreich zu behandeln. Im Jahr 1865 wirkte er an der Gründung der Neurussischen Universität in Odessa mit. Anschließend zog er sich erneut auf sein Anwesen zurück, das er nur noch zweimal für längere Zeit verließ. Im Jahr 1870 besuchte er als Repräsentant des Russischen Roten Kreuzes die Schlachtfelder des Deutsch-Französischen Krieges und inspizierte die Feldhospitäler der beiden Konfliktparteien. Sieben Jahre später war er im Russisch-Türkischen Krieg erneut als Feldchirurg tätig.

Am 24. Mai 1881 trat Pirogow zum letzten Mal in der Öffentlichkeit auf, als er in Moskau anlässlich des 50jährigen Jubiläums seiner wissenschaftlichen Laufbahn geehrt wurde. Im Dezember des gleichen Jahres starb er an einer Krebserkrankung.

Auszeichnungen und Gedenken

Nikolai Pirogow war ab 1847 korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und erhielt in den Jahren 1844, 1851 und 1860 den von der Akademie verliehenen Demidow-Preis. 1881 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Moskau ernannt. Vier Jahre nach seinem Tod kam es zur Gründung der Pirogow-Gesellschaft russischer Ärzte, deren vorrangiges Ziel eine Verbesserung der medizinischen Ausbildung und Versorgung in Russland war.

Die Bedeutung des Wirkens von Pirogow im Bereich der Medizin und für das russische Bildungswesen wird über die heutigen Landesgrenzen Russlands hinaus bis in die Gegenwart in vielfältiger Weise gewürdigt. Auf seinem ehemaligen Wohnsitz befindet sich seit 1947 ein Museum und in dessen Nähe die als Mausoleum genutzte Familienkapelle, in welcher der einbalsamierte Leichnam von Pirogow für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Das größte notfallmedizinische Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia sowie das Dorf in der Ukraine, in dem sich Pirogow zur Ruhe gesetzt hatte, tragen heute seinen Namen, ebenso wie die Staatliche Medizinische Universität Winnyzja sowie der im August 1976 vom russischen Astronomen Nikolai Tschernych entdeckte Asteroid 2506 Pirogov. Auch Medizinische Hochschulen in Moskau (die heutige Russische Staatliche Medizinische Universität) und Odessa (die heutige Staatliche Medizinische Universität Odessa) waren bis zu den Umgestaltungen des universitären Bildungssystems in Russland beziehungsweise der Ukraine in den 1990er Jahren nach ihm benannt. 1949 und zum 150. Jubiläum seines Geburtstages im Jahr 1960 erschienen in der Sowjetunion Briefmarken mit einem Abbild von Nikolai Pirogow. Die höchste Auszeichnung der Sowjetunion für humanitäre Aktivitäten war die Pirogow-Goldmedaille.

Kennzeichend für sein Wirken und beispielgebend war eine enge Verbindung von anatomischer Forschung und chirurgischer Praxis, da er detaillierte Kenntnisse der Anatomie als wissenschaftliche Basis und damit als Grundvoraussetzung für Erfolge in der Chirurgie betrachtete. In der Medizin wurden deshalb neben der von ihm entwickelten Technik zur Fußamputation, die als Pirogoff-Operation bezeichnet wird und teilweise noch heute Anwendung findet, auch einige anatomische Strukturen nach ihm benannt. Hierzu zählt der Venenwinkel (Angulus venosus), der Zusammenfluss der beiden Jugularvenen und der Schlüsselbeinvene, der in der englischsprachigen Literatur die Bezeichnung Pirogoff angle trägt. Die Aponeurose des Bizepsmuskels, eine Struktur aus Bindegewebe an dessen Ansatz, heißt im englischen Sprachraum Pirogoff aponeurosis. Der dreieckige Bereich zwischen dem Kieferzungenbeinmuskel, der Zwischensehne des zweibäuchigen Muskels und dem Nervus hypoglossus (XII. Hirnnerv) wird als Pirogoff-Dreieck (englisch Pirogoff triangle) bezeichnet.

Namensschreibweise

Für seinen Familiennamen ist neben den Schreibweisen „Pirogow“ und „Pirogov“, die auf den gegenwärtig üblichen Konventionen zur Transkription russischer Namen in die deutsche beziehungsweise die englische Sprache basieren, vor allem in älteren Veröffentlichungen und im medizinischen Sprachgebrauch auch die Umschrift „Pirogoff“ zu finden. Sein Vorname wird in einigen älteren deutschsprachigen Werken wie beispielsweise der vierten Auflage von Meyers Konversations-Lexikon als „Nikolaus“ angegeben.

Werke (Auswahl)

  • Klinische Chirurgie. Leipzig 1854
  • Topographische Anatomie des menschlichen Körpers, mit Durchschnitten gefrorener Kadaver illustriert. Sankt Petersburg 1859
  • Chirurgische Anatomie der Arterienstämme und Fascien. Leipzig 1861
  • Grundzüge der allgemeinen Kriegschirurgie. Leipzig 1864
  • Bericht über die Militärsanitätsanstalten in Deutschland, Lothringen und Elsaß. Leipzig 1871
  • Das Kriegssanitätswesen und die Privathilfe auf dem Kriegsschauplatz in Bulgarien 1877–78. Leipzig 1882
  • Lebensfragen. Tagebuch eines alten Arztes. Fischer, Stuttgart 1894 (deutsche Ausgabe)

Quellen

  • Pirogow, Nikolaus. Artikel in: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl. 1888–1890, Bd. 13, S. 85 f.
  • Pirogow, Nikolaj Iwanowitsch. Artikel in: Brockhaus’ Konversationslexikon, 14. Aufl. 1893–1897, Bd. 62, S. 162 f.
  • Pirogov, Nikolai Artikel in: Nordisk Familjebok. Konversationslexikon och Realencyklopedi, 2. Aufl. 1904–1926, Bd. 21, S. 932 (schwedisch)
  • Olga Malakhova: Nikolay Ivanovich Pirogoff (1810–1881). In: Clinical Anatomy. 17/2004. Wiley-Liss, S. 369–372, ISSN 0897-3806
  • Ilya Voloshin, Philip M. Bernini: Nickolay Ivanovich Pirogoff: Innovative Scientist and Clinician. In: Spine. 23(19)/1998. Lippincott Williams & Wilkins, S. 2143–2146, ISSN 0362-2436

Literatur

  • Nikolai Ivanovich Pirogov: Questions of Life: Diary of an Old Physician. Science History Publications, Sagamore Beach MA 1992, ISBN 0-88-135061-3
Anmerkung: Sind im Artikel doppelte Daten angegeben, nennt das erste Datum den Tag des Julianischen Kalenders, das zweite den Tag des Gregorianischen Kalenders. Die Kalenderumstellung erfolgte in den meisten Ländern zwischen 1582 und 1812, in einigen Staaten Osteuropas jedoch erst Anfang des 20. Jahrhunderts (so in Russland im Februar 1918).
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