Das Gehirn lernt im Schlaf

Zusammenhang zwischen langsamen Hirnstromwellen und Lernerfolg

02.07.2004

Wer eine Prüfung erfolgreich bestehen will, tut gut daran, vorher eine Runde zu schlafen. Denn im Schlaf verarbeitet und festigt das Gehirn Neugelerntes spezifisch. Das zeigt eine neue Studie im Magazin «Nature», die der Schweizerische Nationalfonds unterstützt hat.

Sobald das Gehirn tief schläft, verbünden sich Hirnzellen zu einer Einheit. Wie Fussballfans, die ihre Hände während einer La-Ola-Welle gleichzeitig aufstrecken, reagieren Millionen von individuellen Hirnzellen gleichzeitig mit einem elektrischen Signal. So erzeugen sie periodisch auftretende, langsame Hirnstromwellen, die für den Tiefschlaf charakteristisch sind. Doch die Rolle dieser Hirnaktivität war bisher weitgehend unbekannt.

Die jetzt publizierte Studie bringt sie in einen neuen Zusammenhang: «Langsame Hirnwellen im Schlaf scheinen frisch Gelerntes zu festigen und zu verstärken», sagt Reto Huber zu seiner neuen Studie, die er im Labor von Giulio Tononi an der Universität Wisconsin in Madison (USA) durchgeführt hat, und die am 1. Juli in der Zeitschrift «Nature» erscheint*. Er forscht mit einem Stipendium der Schweizerischen Stiftung für Medizinisch-Biologische Stipendien (SSMBS), das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird.

Reto Huber hat für diese Studie rund ein Dutzend Leute mit einer speziellen Lernaufgabe konfrontiert und dann ihre Hirnaktivität im Schlaf gemessen. Die Testschläfer mussten am Computer zuerst einen Lerntest absolvieren.

Die eigentlich einfache Aufgabe bestand darin, einen Bildschirmzeiger mit einer Maus auf einen Zielpunkt hinzubewegen. Doch unbewusst lernten die Probanden dabei eine neue motorische Aufgabe. Denn ohne ihr Wissen verfälschte der Computer die Bewegungsrichtung des Bildschirmzeigers leicht, was die Probanden mit einer veränderten Mausbewegung kompensieren mussten. Zudem war ihre Hand während des Versuchs abgedeckt. So spürten sie nicht, dass der Computer sie auszutricksen versuchte. «Bei bewussten Lernaufgaben sind sehr oft viele Hirnregionen involviert und somit wäre eine lokale Aktivierung viel schwerer nachweisbar gewesen», erklärt Huber.

Die unbewusste motorische Lernaufgabe beansprucht nämlich eine kleine, etwa daumengrosse Hirnregion in der rechten Hirnhälfte der Grosshirnrinde, wie man aus früheren Experimenten weiss. Reto Huber untersuchte nun, ob diese Hirnregion auch im Schlaf speziell beansprucht wird. Dafür zeichnete er die Hirnstromaktivitäten der Testschläfer auf, wozu er 256 Elektroden über ihren Kopf verteilte. Die grosse Zahl an Elektroden erlaubte es Huber, nicht nur die Hirnstrom-Aktivität zu messen, sondern sie auch örtlich genau zu lokalisieren.

Je tiefer der Schlaf, desto besser der Lernerfolg

Und tatsächlich entdeckte der Schweizer Jungforscher in den Testschläfern, was viele Hirnforscher für unmöglich hielten: «Wir sahen grössere langsame Hirnstromwellen in der vom Test beanspruchten Hirnregion - und nur dort.»

Doch damit nicht genug. Probanden, die den Test am nächsten Morgen am Besten meisterten, zeigten während der Nacht besonders grosse langsame Hirnstromwellen. Diese scheinen das Gelernte zu festigen und die Fertigkeit im Computertest sogar zu verbessern. «Unsere Studie liefert erste Hinweise, dass Schlaf eine wichtige Rolle bei Lernprozessen spielt», sagt Huber.

Bis heute ist noch immer weitgehend unklar, welche Vorgänge sich im Gehirn im Schlafzustand während der Nacht oder einem Nickerchen am Nachmittag abspielen. Vor allem was auf der Ebene der einzelnen Nervenverbindungen geschieht, ist weitgehend unbekannt. Schlafforscher spekulieren darüber, dass die nächtliche Hirnaktivität neu geschaffene Nervenverbindungen überprüfen und aussortieren könnte: Wichtige Verbindungen werden behalten und verstärkt, unwichtige wieder abgebaut.

«Die langsamen Hirnstromwellen könnten eine Funktionskontrolle sein, die die nervösen Verbindungen überprüft», sagt Huber dazu. Beeindruckt von den neuesten Resultaten seines ehemaligen Doktoranden ist auch der Zürcher Schlafforscher Alexander Borbély. «Sie zeigen, dass Schlaf sehr lokale Effekte im Gehirn haben kann», sagt Borbély. «Ich halte das für einen ausserordentlich wichtigen Befund».

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