Experten erwarten weiteres Krisenjahr für die Biotech-Branche

02.01.2003
FRANKFURT (dpa-AFX) - In der deutschen Biotechnologiebranche wird die Luft für einige Unternehmen immer dünner und nicht wenige Branchenkenner rechnen damit, dass 20 bis 50 Prozent der Biotechfirmen vom Markt verschwinden. Ein erheblicher Teil der Unternehmen kämpfen derzeit um die Anschlussfinanzierung. "An der Börse gibt es für die Firmen kein Geld mehr und Risikokapitalgeber halten sich mit Investitionen zurück", sagt Analyst Alexander Burger von der Landesbank Baden-Württemberg. Bis zu 20 Prozent der rund 365 Biotech-Unternehmen in Deutschland könnten durch Insolvenz vom Markt verschwinden, so Burger. Umbrüche und zeitweise Zusammenbrüche seien jedoch Teil eines gesunden Prozesses, urteilt der Branchenexperte unter Anspielung auf den Ökonomen Schumpeter und sein Konzept der schöpferischen Zerstörung. GERADE KLEINE UNTERNEHMEN STEHEN UNTER DRUCK Fondsmanagerin Nicole Körtge erinnert an die Entwicklung in den USA: "Dort gibt es rund 60 Prozent der Biotech-Unternehmen, die vor zehn Jahren noch existierten, nicht mehr. Die Biotech-Branche in Deutschland wird diese Entwicklung auch durchmachen", ist sich die Managerin des DIT Biotechnologie sicher. Gerade kleinere Unternehmen, die um die Anschlussfinanzierung ringen, keine oder wenige Produktkandidaten in der klinischen Entwicklung haben und mit ihrem Cash-Bestand mit dem Rücken zur Wand stehen, dürften bald vom Markt verschwinden, erwartet Fondsmanager Michael Sjöström von der Schweizer Fondsgesellschaft Pictet. Zuerst schien es, als würde die Biotech-Branche den Zusammenbruch der so genannten New Economy deutlich besser verkraften als die glitzernden Dotcom-Start-ups. Doch der tiefe Fall der einstigen Biotech-Hoffnungsträger ImClone Systems und Elan, die nur noch durch Skandale der Führungsriege von sich reden machten, hat die Branche schwer getroffen. Investoren und Risikokapitalgeber werden deutlich vorsichtiger. Verfehlte Prognosen, Rückschläge in der klinischen Forschung, nicht tragfähige oder wenig überzeugende Geschäftsmodelle und der Sparzwang im Pharmasektor haben die Lieblingsbranche der Anleger aus den Jahren 1999 und 2000 zunehmend zum Sorgenkind werden lassen. SEIT OKTOBER 2001 MEHR ALS 40 INSOLVENZEN In der Boomzone der Biotechnologie, in Martinsried bei München, stehen nach dem Aufschwung erstmals Flächen leer. Zwei dort angesiedelte Unternehmen, Connex und Elegene, ereilte die Insolvenz. In Berlin gingen bei GenProfile und Theragen die Lichter aus. Seit Oktober 2001 haben bereits 45 Biotech-Unternehmen in Deutschland den Gang zum Insolvenzrichter angetreten. Dazu ein Pharmamanager, der fast alle deutschen Biotech-Firmen kennt: "Die, die noch Kapital haben, sollten sich mit denen zusammentun, die über eine überzeugende Technologie verfügen." Dies hatte sich wohl auch Simon Moroney von MorphoSys überlegt, als er mit British Biotech über eine Fusion verhandelte. Moroney, Chef von MorphoSys, wollte das Martinsrieder Unternehmen vom reinen Dienstleister für die Pharmaindustrie zum Wirkstoffentwickler umfunktionieren. Doch dafür fehlten die nötigen Finanzen. Die Verhandlungen mit den Briten, die eher durch ein gutes finanzielles Polster als durch Erfolge in der Forschung glänzten, blieben jedoch erfolglos. Der stets reserviert wirkende Neuseeländer Moroney verkündete im Oktober die Rückkehr zum alten Geschäftsmodell. Kurz vor Weihnachten endlich wieder eine Erfolgmeldung für die immer mehr mit Kapitalnöten in Verbindung gebrachten Martinsrieder. Die Patentstreitigkeiten mit dem Erzrivalen Cambridge Antibody Technologie (CAT), die in den vergangenen Jahren immer wieder für Unsicherheit sorgten, wurden beigelegt. Nach dem Pharmakonzern Schering, der 10 Prozent an dem im NEMAX 50 gelisteten Unternehmen hält, wird nun CAT mit 12 Prozent größter MorphoSys-Aktionär. Das Papier verteuerte sich innerhalb von zwei Tagen von 4,73 auf 10,47 Euro, ein Kursgewinn von rund 120 Prozent. Für Aktionäre, die Anfang 2002 zu 61 Euro eingestiegen sind,ist dies allerdings nur ein schwacher Trost. Der Rechtsstreit habe MorphoSys in den ersten neun Monaten 2002 rund 6,5 Millionen Euro gekostet. Nun rechnet Patrick Fuchs, Analyst bei der DZ Bank, für das nächste Jahr mit Einsparungen von rund 5 Millionen Euro. 2004 könnten es 3 Millionen Euro sein. MorphoSys war in den ersten neun Monaten 2002 weiter in die roten Zahlen gerutscht: Der Fehlbetrag stieg von 3,8 auf 15,2 Millionen Euro. Ende September verfügte das Unternehmen noch über Barbestände und Wertpapiere in Höhe von 23,9 Millionen Euro. Die liquiden Mittel werden nach Unternehmensangaben zum Jahresende 2002 voraussichtlich 15 Millionen Euro betragen. 'HURRA, WIR LEBEN NOCH' "Hurra, wir leben noch!", scheint auch die Devise von LION Bioscience-Chef Friedrich von Bohlen zu sein. Denn der Weg für die Heidelberger zur "SAP der Biotechnologie" ist für den Nachkommen der Stahlfamilie von Bohlen und Halbach unerwartet mühsam. Ende Oktober wurde die Umsatzprognose und die Ergebniserwartung für das laufende Geschäftsjahr 2002/2003 nach unten korrigiert. Noch im Juni sei von einem moderaten Umsatzplus für 2003 ausgegangen worden. Nun wird wegen rückläufiger Investitionen in der Pharmabranche und schleppender Vertragsabschlüsse mit einem Umsatzrückgang von bis zu 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (40,4 Millionen Euro) gerechnet. Gleichzeitig sieht der LION-Chef einen erheblichen Abschreibungsbedarf auf Beteiligungen. Im zweiten Quartal (30.9.) werden Abschreibungen in Höhe von 62,1 Millionen Euro vorgenommen. STARKE KURSVERLUSTE BEI BIOTECH-AKTIEN Auf dem Beipackzettel der Biotechunternehmen im NEMAX 50 stehen dann auch herbe Kursverluste von teilweise rund 80 Prozent seit Jahresanfang. Auch der Branchenindex NEMAX Biotech hat in dieser Zeit mehr als 70 Prozent an Wert eingebüßt. "Vielleicht ist der Leidensdruck in der Branche noch nicht groß genug", urteilt ein Unternehmensberater der sich in der Biotech-Branche auskennt. "Mehr Unternehmensgründer, die oft auch als CEO die Firmen führen, sollten eigene Befindlichkeiten außen vor lassen und über ihren Schatten springen, um sich mit der Konkurrenz zusammenzuschließen."

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