Kochwäsche bei 30 Grad - marine Biotechnologie vor breiter Anwendung

20.06.2002
Greifswald (dpa) - Der Pilz «Kirschsteiniothelia maritima» hat ideale Lebensbedingungen in der Ostsee bei Greifswald. Doch er soll auch etwas leisten. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung der Greifswalder Pharmazeutin Ulrike Lindequist hat wichtige Enzyme isoliert, die künftig als Antibiotika eingesetzt werden sollen. Anders als bei derzeitigen Antibiotika gebe es keine resistenten Staphylokokken gegen den aus dem Pilz gewonnene Wirkstoff «Ascochital», erzählt Lindequist, die am Institut für Pharmazie der Universität Greifswald forscht. Der Pilz ist nur ein Beispiel für die Anwendungsgebiete der marinen Biotechnologie. Rund 120 der weltweit führenden Experten der «blauen» Biotechnologie tagen bis Freitag in Greifswald und stellen neueste Forschungsergebnisse vor. Die Branche schaut optimistisch in die Zukunft: Das Ausgangsmaterial sei schier unbegrenzt, die Potenziale bei weitem noch nicht ausgeschöpft, schätzt Thomas Schweder vom Universitäts-Institut für Mikrobiologie. Rund drei Millionen bis 500 Millionen Arten von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen leben Lindequist zufolge im Meer. Bereits jetzt werden in den USA aus Schwämmen und Nesseltieren Arzneistoffe gewonnen. Korallen produzieren entzündungshemmende Stoffe, die schon heute erfolgreich in der Kosmetikindustrie eingesetzt werden. Toxine aus Kegelschnecken haben eine schmerzdämpfende Wirkung, machen aber im Gegensatz zu Morphinen nicht süchtig. Doch die Algen und Tiere können nicht unbegrenzt aus dem Meer entnommen werden, damit das biologische Gleichgewicht nicht gestört wird, sagt Lindequist. Die Greifswalder Forscher legen daher ihren Schwerpunkt auf die Produktion von Enzymen und neuen Wirkstoffen aus marinen Mikroorganismen. Diese können unter Laborbedingungen in unbegrenzten Mengen nachgezüchtet werden, wie die Wissenschaftler betonen. Die Einsatzgebiete sind von weitgehend praktischer Bedeutung für den Menschen. Da 80 Prozent des Meerwassers eine Temperatur unter fünf Grad Celsius aufweise, seien die Lebewesen und damit ihre Enzyme kälteangepasst, erläutert Schweder. Ihre optimale Wirktemperatur liege bei 16 Grad. Im Vergleich: Enzyme aus am Land lebenden Organismen brauchen Optimaltemperaturen von 30 Grad. Diese Eigenschaft habe eine große Bedeutung in der Lebensmittelindustrie, beispielsweise bei der Fruchtsaftherstellung. Die Ausgangsstoffe müssen unter dem Einsatz von marinen Enzymen nicht mehr so stark erhitzt werden. «Das spart Energie und verhindert gleichzeitig das Wachstum von gefährlichen Mikroorganismen. Außerdem schmeckt der Saft einfach besser», meint Schweder. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Waschmittelindustrie: Unter dem Einsatz von kälteangepassten Enzymen im Waschmittel müsse künftig Kochwäsche nicht mehr gekocht werden. Gemeinsam mit dem Düsseldorfer Waschmittelkonzern Henkel forschen die Greifswalder Mikrobiologen auch auf diesem Gebiet. In Mecklenburg-Vorpommern soll im kommenden Jahr nach den Worten von Lindequist die Produktion von Mikroalgen starten. In Dettmannsdorf-Kölzow will ein Investor in einem geschlossenen ökologischen Kreislauf eine Kornbrennerei sowie eine Produktionsstätte für Mikroalgen errichten. Die Mikroalgen sollen künftig der Produktion von Biomasse und von Nahrungsergänzungsmitteln dienen.

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